Jung, blond, tot: Roman
Verfügung«, sagte die Frau lächelnd. »Mein Mann ist leider nicht da, er hält sich für zwei Tage in der Schweiz auf.«
»Es macht nichts, es genügt, wenn ich mit Ihnen sprechen kann. Zunächst würde ich gerne etwas über den Freundeskreis von Maureen wissen. Mit wem war sie häufig zusammen, ich brauchte so viele Namen wie möglich.« Die Frau zuckte die Schultern. »Maureen hatte einen sehr großen Freundeskreis. Sie war sehr lebenslustig und schon sehr früh außergewöhnlich selbständig. Nicht, daß Sie mich jetzt mißverstehen, aber sie hat ihr Leben frühzeitig in die Hand genommen. Sie war zuverlässig, wir hatten nie Grund zur Klage. Sie hatte eine feste Freundin, mit der sie regelmäßig zusammen war, ja und dann war sie noch im Tennisclub und natürlich oft am Wochenende unterwegs. Hier eine Party, dort eine Fete, Diskos, na ja, was man eben mit siebzehn so macht. Mein Mann und ich haben sie in ihrer Freiheit nicht beschnitten, aber immer Ehrlichkeit von ihr verlangt. Und ich glaube ganz fest, daß sie ehrlich war. Sie hatte zum Beispiel noch keinen Freund, sie sagte, das hätte noch Zeit...«
»Kein Freund?« fragte Durant, den Obduktionsbericht noch vor Augen. Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Heißt das, Sie wußten nicht, daß Maureen nicht mehr unberührt war?«
»Nein«, erwiderte Frau Nettleton etwas verwundert und blickte Durant geradeheraus an. »Das wußte ich tatsächlich nicht. Andererseits, sie ist vergewaltigt worden, und da ist es doch natürlich, daß...«
»Sicher, aber es sind bei der Obduktion zwei Sorten Sperma festgestellt worden.« »Aber das kann nicht sein, sie hat nie einen Jungen mit nach Hause gebracht.« Die Frau wurde unruhig. »Können sich Ihre Arzte nicht irren?«
»Nun, Frau Nettleton, Jungs bringt man in diesem Alter kaum mit nach Hause, wenn es darum geht. Es tut mir leid, aber Gerichtsmediziner irren sich nur selten...« »Sie hat viel Sport getrieben, vielleicht ist dabei einmal...« »Nein«, sagte die Kommissarin nachdrücklich, »das kann nicht sein. Beim Sport gelangt kein Sperma in die Scheide. Ihre Tochter hatte circa vierundzwanzig Stunden vor ihrem Tod mit noch einem anderen Mann Geschlechtsverkehr. Das ist eine Tatsache.« Sie stoppte hier und blickte die Frau an, die ein nachdenkliches Gesicht machte. Maureens Mutter zuckte die Schultern. »Na ja, die Kinder sagen einem eben nicht alles. Es ändert ohnehin nichts mehr.« Sie zündete sich eine Zigarette an. »Aus diesem Grund ist es wichtig, daß wir soviel wie möglich über den Bekanntenkreis von Maureen erfahren.« »Natürlich, warten Sie.« Sie stand auf, holte ein Adreßbuch und gab der Kommissarin insgesamt neun Adressen. Bevor Durant wieder ging, sagte Maureens Mutter, als müßte sie sich rechtfertigen: »Sie wundern sich bestimmt, daß hier kaum etwas nach Trauer aussieht. Wissen Sie, Trauer bringt uns Maureen nicht zurück. Der erste Schock war fürchterlich, ich erinnere mich noch ganz genau daran, ich habe geschrien wie eine Wahnsinnige. Mein Mann stand auch unter Schock, aber er hat es nicht rausgelassen. Er frißt immer alles in sich hinein, dann fährt er wie jetzt zwei oder drei Tage in die Berge, wandert, und irgendwieläßt er den ganzen Druck wieder ab. Ich beneide ihn darum. Aber nachdem wir uns einigermaßen gefangen hatten, mein Mann und ich, haben wir miteinander geredet und sind zu dem Schluß gekommen, daß wir so normal wie möglich weiterleben möchten, auch wenn seit diesem schrecklichen Unglück noch nicht einmal eine Woche vergangen ist. Aber wir haben noch zwei Kinder, und auf die kommt es jetzt an. Wissen Sie, wir haben zwei Tage lang geweint, wir haben die schrecklichsten Tage unseres Lebens hinter uns, und wir finden, das reicht. Wir haben uns gefragt, warum ausgerechnet Maureen so grausam und vor allem so früh sterben mußte, aber wir wissen es nicht, und womöglich werden wir es nie erfahren. Wir wollen aber unsere Trauer nicht zur Schau stellen. Ich denke, Sie werden das verstehen können.« Julia Durant nickte lächelnd, verabschiedete sich. Ihr dritter Besuch führte sie zu Nicole Bernhardt.
Als die Kommissarin, vom Hausmädchen eingelassen, in das Wohnzimmer geführt wurde, war Nicoles feinkonturiges Gesicht eine starre, undurchdringliche Maske. Sie saß, die Knie eng beieinander, auf dem Sofa, hatte rotgeweinte Augen, eine rote Nasenspitze, hielt ein Taschentuch in der Hand. Sie hatte das streng nach hinten gekämmte Haar zu einem Pferdeschwanz
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