Jung, blond, tot: Roman
laß mich bitte nicht allein! Hilf mir und steh zu mir! Es ist doch auch Dein Kind, und wenn es ein Sohn wird, soll er heißen wie Du, und er wird bestimmt auch sein wie Du! Bitte, bitte, bitte! Wo soll ich hingehen, wenn Du mir nicht beistehst? Ich werde Dir morgen sagen, daß ich Dein Kind unter dem Herzen trage, und dann mußt Du Dich entscheiden, und ich weiß, Deine Entscheidung wird zu meinen Gunsten ausfallen. Ich liebe Dich, und ich werde Dich immer lieben! Und ich weiß, es sind nur die verfluchten Fesseln, die verhindern, daß unsere Liebe vollkommen ist. Gott, hilf mir! Wenn alles nichts hilft, werde ich den Balg wegmachen lassen. Das Geld dafür habe ich. Ich werde Nicole morgen einweihen, sie ist eine wundervolle Freundin, wenn ich sie nicht hätte! Und irgendwann werde ich ihr sagen, wer der Vater ist. Irgendwann. Jetzt geht es noch nicht, sie würde aus allen Wolken fallen. Sie würde nie begreifen, wie ich mit A. eine der vollendetsten Beziehungen haben konnte (und möglicherweise noch haben kann!). Nicole ist so lieb und so nett, aber sie versteht nicht alles. Wie auch, verstehe ich doch selbst vieles nicht. Ich werde sie bitten, wenn gar nichts mehr geht, mir eine Adresse zu besorgen, wo ich es wegmachen lassen kann, ohne daß jemand etwas davon erfährt. Ich weiß nicht, wie lange ich leben werde, noch eine Stunde, einen Tag, ein fahr, zehn fahre oder gar hundert, egal, was immer kommen mag, was ich erlebt habe, ist einzigartig, und niemals wird irgend jemand ähnliches erleben. Wie schön und wie grausam die Liebe doch sein kann! Es waren noch zwölf freie Seiten in dem Tagebuch. Julia Durant schlug es zu und legte es auf den Tisch. Sie ging zum Waschbecken, sah in den Spiegel. Ihre Augen waren leicht gerötet vom angestrengten Lesen, die Lippen blaß. Sie wusch sich Hände und Gesicht, holte aus ihrer Handtasche den Lippenstift und zog die Konturen nach. Danach stellte sie sich ans Fenster, zog die Jalousie hoch, blickte auf die Straße. Wer war A.? Andreas Menzel schied aus, von ihm hatte sich Sabine verabschiedet, außerdem hatte sie ihm das Kürzel A. M. gegeben.
Wie alt war A.? Er war auf jeden Fall verheiratet. Hatte er auch Kinder? Er sah, aus der subjektiven Sicht von Sabine gesehen, sehr gut aus, war braungebrannt, hatte dunkles Haar, starke Hände und einen durchdringenden Blick. Und er war sehr wohlhabend. Und er würde eines Tages zu einem Segen für die Menschen werden. Was meinte Sabine damit? Auf welche Weise konnte dieser Mann zum Segen für die Menschen werden? War er vielleicht Politiker, Künstler, Musiker, Schriftsteller, Philosoph oder irgend etwas anderes?
Berger kam ins Zimmer, Julia Durant drehte sich um, Nachdenklichkeit im Blick. »Schon fertig?« fragte Berger.
»Ja, und sie hat über ihn geschrieben. Sie hat kaum etwas ausgelassen...« »Und wer ist es?« fragte Berger neugierig. »Tja, das ist der Haken, ich habe keine Ahnung. Im ganzen Buch nennt sie ihn immer nur A. Aber Ihre Vermutung scheint sich zu bestätigen, sie hatte was mit einem verheirateten Mann. Sabine hat ihre Beziehung in sehr blumigen Worten beschrieben. Sie hatte sich mit ihm für den Donnerstag abend verabredet, was zumindest die Vermutung nahelegt, daß er zumindest einer der letzten war, mit dem sie zusammen war. Was aber nicht unbedingt heißen muß, daß er auch ihr Mörder ist. Dieser A. kann jeder sein, der ein bißchen Geld hat. Die beiden haben sich immer heimlich getroffen, in einem Hotel, einem Motel, einem Gartenhaus, auf jeden Fall irgendwo, wo sie ungestört waren und nicht Gefahr liefen, entdeckt zu werden. Sabine war so ungemein vorsichtig, nirgends, aber auch nirgends der geringste Hinweis auf ihren Geliebten, der es aber möglicherweise auch mit anderen Mädchen getrieben hat. Ich hatte mir ehrlich gesagt mehr von dem Buch versprochen. Wir müssen es analysieren lassen, vielleicht werden dadurch mehr Anhaltspunkte gefunden. Aber übers Wochenende nehme ich es mit nach Hause und lese es in aller Ruhe durch. Ach ja, Nicole Bernhardt wußte tatsäch lich nichts von Sabines heimlichem Liebhaber. Sie hat also nicht gelogen. Aber wir sind kein Stück weiter als zuvor.«
»Gut, oder besser, nicht gut. Ich habe übrigens schon heute morgen mit Dr. Schneider, einem Gerichtspsychologen, gesprochen. Er kennt die Aktenlage von Preusse und Nettleton. Ich habe ihn überreden können, noch heute nachmittag vorbeizukommen und uns vielleicht ein Täterprofil zu erstellen. Er war zwar nicht gerade
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