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Jung, blond, tot: Roman

Jung, blond, tot: Roman

Titel: Jung, blond, tot: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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heruntergelassen, die Lamellen standen waagrecht, kaum ein Windhauch, der hereindrang. Im Aschenbecher ein verglimmender Zigarettenstummel, ein halbes Glas Limo neben zwei aufgeschla genen Aktenordnern. Über den Tisch verteilt beschriebene Zettel. Julia Durant holte Zigaretten und Feuerzeug sowie das Tagebuch aus ihrer Tasche. Setzte sich, legte die Beine auf die Tischkante und betrachtete das Tagebuch von allen Seiten. Sie rauchte. Das Tagebuch bestand aus dickem, dunkelgrünem Leder, der Verschlußriemen war zusätzlich von mehreren dünnen Stahlbändern durchzogen, eine einfache Schere reichte hier nicht aus. Berger kam herein. Er hatte die Krawatte abgenommen und die zwei obersten Knöpfe seines Hemdes gelöst, sein Gesicht war schweißüberströmt. »Sie sind schon wieder zurück! Erfolg gehabt?« fragte er. »Vielleicht«, sagte Durant, auf das Tagebuch deutend. »Ich habe lange danach suchen müssen. Sie hatte es im Rolladenkasten versteckt, ein Platz, von dem sie wußte, daß dort nicht einmal ihre offensichtlich putzwütige Mutter nachgesehen hätte. Sie hätten das Zimmer sehen müssen, nicht nur das Zimmer, auch den Inhalt der Schränke.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Nur vom Feinsten, kann ich Ihnen sagen. Mein Gott, die hat Klamotten in ihrem Schrank hängen, davon kann ich nur träumen! Und ihre Unterwäsche, besser gesagt Dessous - nur beste Qualität. Allerdings auch etwas ungewöhnlich für eine Siebzehnjährige. Was soll's, das Buch hier muß irgendwie aufgemacht werden.« »Haben Sie keinen Schlüssel?« fragte Berger und trank seine Limonade aus, rülpste leise.
»Ich habe keinen gefunden. Und da die Eltern nichts von dem Buch wissen, wäre es also sinnlos gewesen, sie nach dem Schlüssel zu fragen. Ich habe die Sünden ihrer lieben kleinen Tochter für mich behalten. Die beiden sind sowieso schon am Ende.« »Eine Schere?« »Reicht nicht aus, sehen Sie selbst.«
Berger nahm es in die Hand und nickte. »Aber mit einer Zange kriegen wir's auf«, sagte er grinsend und holte aus der untersten Schublade seines Schreibtisches eine Beißzange. Ein kräftiger Druck, ein kurzes Ziehen. »So, das hätten wir«, sagte er und reichte das Buch Julia Durant zurück. »Studieren Sie es, und informieren Sie mich über das Wesentliche. Die anderen Kollegen sind noch unterwegs. Ich bin jetzt mal für eine Weile nicht da.« Sie begann zu lesen. Der erste Eintrag datierte vom 12. Januar. Andreas Menzel. Sie hatte seinen Namen mit A. M. abgekürzt, doch es konnte sich hier nur um Andreas Menzel handeln. Andreas Menzel, von dem Nicole Bernhardt behauptete, daß Sabine sich nur über ihn lustig gemacht hätte, war mehr gewesen als nur ein Geplänkel, er war die erste große Liebe von Sabine. Sie hatte sich unsterblich in diesen kleinen, zarten Jungen mit dem großen Geist verliebt. Er wäre so anders als all die anderen Jungs, mit denen sie es bisher zu tun gehabt hatte. Zwei Monate schrieb sie jeden Tag über Andreas Menzel, bisweilen schwülstig und voll Pathos, doch zu keiner Zeit machte sie auch nur die geringste Andeutung, daß ihre Beziehung über platonische Liebe hinausgegangen wäre. Am 18. März hörten die Eintragungen abrupt auf. Erst am 29. März fing sie wieder an zu schreiben. Belanglosigkeiten, Tagesabläufe, Nicole wurde oft erwähnt, die Schule, daß ihr Vater immer öfter betrunken von der Arbeit oder spätnachts heimgekommen war und ihre Mutter jedesmal wüst beschimpft und auch geschlagen hatte. Sie hatte sich eingeschlossen, weil sie Angst vor ihm hatte. Eine kurze Anmerkung am Blattrand, daß sie ihren Vater aus tiefster Seele haßte. Andreas Menzel aber wurde keine Zeile mehr gewidmet. Eine Woche später jedoch schrieb sie, daß sie sich zwar noch regelmäßig sahen, ihre Beziehung aber abgekühlt und er sehr traurig sei, von ihr einfach im Stich gelassen worden zu sein. Er sei eine alte Memme, schrieb sie, und sie nähme alles zurück, was sie bisher über ihn geschrieben hatte. Er sei durch und durch verweichlicht, und ein nur intelligenter Mann reichte ihr nicht. Julia Durant blätterte Tag für Tag durch, doch die Eintragungen wurden zusehends eintöniger und belangloser. Sie hatte sich mehr vom Tagebuch versprochen. Hier stand nichts Weltbewegendes, nur etwas Herz, ein wenig Schmerz, Jungmädchengeschreibe. Sie las jetzt seit einer Stunde. Aufkommender Wind, die Lamellen der Jalousie rasselten. Durants Augen wurden schwer, die Buchstaben begannen zu tanzen, die Schwüle, der fehlende

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