Jung, blond, tot: Roman
den Schreibtischstuhl, verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Wo hätte ein intelligentes Mädchen wie Sabine ein mögliches Tagebuch versteckt, dessen Inhalt so brisant war, daß ihre Eltern es unter gar keinen Umständen in die Finger bekommen durften? Sie versuchte, sich in die Lage und Denkweise von Sabine zu versetzen. Natürlich mußte der Platz extrem sicher und geschützt vor neugierigen Blicken sein, vor allem vor der Mutter, die hier bestimmt regelmäßig saubermachte. Sie durfte die raffinierte Unterwäsche finden, alles andere, aber nicht dieses Tagebuch. Und Durant hielt Sabine für schlau genug, ihre Mutter bewußt in die Irre zu führen. Nach einer Weile erfolglosen Grübelns stand sie auf, ging zurück ins Wohnzimmer. Der Vater trank, die Mutter qualmte nervös und blickte zu Durant auf, während die andere Frau wie ein unheimlicher Gnom in der Ecke hockte und Durant aus winzigen Augen anstarrte. »Wer hat für gewöhnlich Sabines Zimmer aufgeräumt? Machten Sie das oder machte es Sabine selber?« Die Mutter zuckte die Schultern und meinte: »Ich habe das meist gemacht. Warum?«
»Nur so. Vielen Dank.« Sie machte kehrt und ging erneut in Sabines Zimmer. Sie erinnerte sich an ihre Jugend und die vielen vollgeschriebenen Tagebücher, an ihre Freundinnen, von denen die meisten auch eines geführt hatten. Sie stand wieder in der Mitte des Raumes unter der Lampe. Sie drehte sich. Poster, Schrank, Bett, Sekretär, Stuhl. Das Plattenregal, die Anlage, der Fernseher. Hatte sie etwas übersehen? Hinter der hochgewachsenen Yuccapalme mit den ausladenden, kräftigen Blättern, die zwischen Anlage und Sekretär stand, war nichts. Julia Durant zündete sich eine Zigarette an, ein blankpolierter Aschenbecher stand wie ein Ausstellungsstück auf dem kleinen Beistelltisch. Sie zog noch einmal jede Schublade des Sekretärs heraus und tastete sie von unten ab, erfolglos. Bis jetzt hatte sie noch nie nach einem Tagebuch suchen müssen, meist waren es kleinere Dinge, Zettel, Briefe, Schmuck. Sie hatte die unmöglichsten Verstecke ausfindig gemacht, unter Holzdielen, hinter Bildern, im Sockel einer Lampe. Aber ein Tagebuch ließ sich nicht so ohne weiteres verstecken. Sollte es wirklich keines geben? Sie zweifelte, dann wieder diese innere Stimme, die ihr zuflüsterte, daß sie keinem Hirngespinst hinterherjagte, daß ein Tagebuch existieren mußte. Sie schloß für Sekunden die Augen, konzentrierte sich. Öffnete sie, ihr Blick ging nach oben zur Decke, die Wände entlang, weiter zum Fenster. Sie kniff die Augen zusammen, ging ganz langsam auf das Fenster zu, zog sich den Stuhl heran, stellte sich darauf, tastete mit den Händen über die kaum zu erkennende Klappe, hinter der sich der Rolladen befand, entriegelte sie. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser hineinsehen zu können... Sie kniff für eine Sekunde die Augen zusammen, ballte für Sekunden die Fäuste vor Glück! Hier lag es, ein dickes, grünes, abgeschlossenes Tagebuch. Wenn überhaupt irgendwo, dann war in ihm die Lösung zu Sabines Geheimnis zu finden. Sie steckte das Buch in ihre Ta 72 sche, nur der Schlüssel blieb verschwunden, aber das war weiter kein Problem. Sie schloß die Klappe, stieg vom Stuhl, stellte ihn an seinen alten Platz. Sie verabschiedete sich von den Lindners, er besoff sich weiter, sie rauchte eine Zigarette nach der anderen, der Gnom rührte sich nicht.
»Haben Sie vielen Dank für Ihre Hilfe«, sagte sie, aufmunternd nickend. Sie hatte überlegt, ob sie ihnen von Sabines Schwangerschaft erzählen sollte, aber sie wollte diesen Leuten nicht auch noch den Glauben an die Unberührtheit ihrer Tochter nehmen. Es hätte endgültig die kleine, bis vorgestern so heile Welt dieser Menschen zerstört.
Lindners Stimme hielt sie zurück. »Wann können wir sie beerdigen?«
»Das kann ich noch nicht sagen. Aber Sie bekommen Bescheid, ich nehme an, daß Sie am Montag angerufen werden.«
Sie fuhr ins Präsidium. Die Straßen in die Innenstadt waren weitgehend frei befahrbar, dafür um so stärkerer Verkehr stadtauswärts, darunter viele Fans von Eintracht Frankfurt und Bayern München, die per Auto oder zu Fuß in riesigen Pulks zum Spitzenspiel ins Waldstadion unterwegs waren. Riesige, weiße Wolkenberge, die sich bildeten. Vielleicht Vorboten eines Gewitters, als Ausgleich für die unerträgliche Schwüle. Sie lenkte das Auto auf den Hof und schlug die Tür einfach zu. Sie ließ das Fenster offen.
Das Büro war leer, die Jalousie
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