Jung, blond, tot: Roman
erfreut, das ausgerechnet an einem Samstag nachmittag tun zu sollen, aber ich kann im Augenblick nicht auch noch auf die Gewohnheiten der Leute Rücksicht nehmen... das tut dieses verdammte Arschloch von Killer nämlich auch nicht! Und je mehr und eher wir etwas über den Kerl wissen, desto besser für uns.«
»Was ist mit den anderen, sollten die nicht auch dabeisein?« fragte Durant. »Schneider kommt in etwa einer halben Stunde. Wir müssen dann eben für die anderen mit aufpassen.«
Um halb sechs, erstes, fernes Donnergrollen über Frankfurt, kam Schneider, ein kleiner Mann, kaum einssechzig groß, spindeldürr, Nickelbrille, verkniffener Zug um den bleistiftdünnen Mund, lichte, graue Haare, sehr blasse Haut, tiefe Ringe unter den großen, starr blickenden Augen. Er hatte ungewöhnlich schmale Hände und Finger, nuschelte einen kaum verständlichen Gruß. Berger bat ihn mit einer Handbewegung, Platz zu nehmen. Schneider legte den mitgebrachten Ordner auf den Tisch. Fahrige, hektische Bewegungen. »Schneider, Psychologe«, stellte er sich Julia Durant mit hoher Stimme, die der eines Kastraten ähnelte, vor und reichte ihr die Hand. Knöcherne, zierliche Hände. Keine Regung in seinem Gesicht. Er setzte sich, begann zu sprechen, sein Atem rasselte, er hüstelte, sagte: »Wenn Sie mir bitte einen Gefallen tun möchten, dann machen Sie die Zigarette aus. Ich vertrage den Rauch nicht.« Sie beugte sich vor, drückte den Stummel aus.
»Gut, Sie wollen also etwas über den Mörder erfahren. Da wir Samstag nachmittag haben und ich ein freies Wochenende sehr schätze, lassen Sie uns bitte gleich in medias res gehen.« Er lehnte sich zurück, schlug das rechte über das linke Bein, kühler Blick zu Berger. »Wir möchten einfach nur einen Eindruck gewinnen, um was für einen Menschentyp es sich bei diesem Mann handelt. Wobei wir eigentlich von zwei Tätern sprechen, da der vorgestern begangene Mord die Handschrift eines anderen trägt...«
Schneider blickte Berger über den Rand seiner Brille hinweg an. »Dann sollten Sie aber auch gleich wissen, daß alles, was ich sagen werde, nichts als Spekulation ist. Denn bis jetzt wissen wir ja einzig und allein, wie er tötet. Wir wissen jedoch nichts über seine Beweggründe, sein Alter, na ja, ich brauche Ihnen das nicht zu erklären. Aber die Kriminalgeschichte ist gespickt mit solch bizarren Fällen. Bis auf ganz wenige Ausnahmen handelt es sich bei den Tätern zumeist um psychisch extrem gestörte Personen. Und meist sind es Männer.« Er hielt inne, hüstelte wieder, fuhr fort: »Ich habe heute einen kurzen Blick in die Akten geworfen, und nach meinem Dafürhalten scheint der Täter in unserem ganz speziellen Fall als Opfer Mädchen der Altersgruppe fünfzehn bis etwa achtzehn Jahre zu bevorzugen. Alle sind schlank, blond und entsprechen bis jetzt ausnahmslos einem gewissen Schönheitsideal. Man ist geneigt anzunehmen, daß derjenige einen tiefsitzenden Haß gegen blonde Mädchen hat, wobei ich hier eine erste Ein schränkung machen muß, nämlich die, daß dies nur so lange gilt, bis er sich eine aussucht, die rot, brünett oder schwarzhaarig oder älter als die bisherigen Opfer ist. Warum seine Opfer so jung sind, vermag ich natürlich nicht zu sagen. Würde es sich um Kinder handeln - aber hier...« Er schüttelte den Kopf. »Eines ist jedoch unzweifelhaft - unser Mann ist psychisch hochgradig gestört, unberechenbar und somit höchst gefährlich. Nicht ganz auszuschließen ist, daß es sich bei dem Mann um eine multiple Persönlichkeit handelt, was eine bestimmte Form von Schizophrenie ist. Sie haben von diesen Menschen gehört, die sich für Napoleon oder Cäsar oder irgend jemand anderes halten. Allerdings ist das ein heikles Gebiet, und es bedarf ausgiebiger Tests, um eine solche Störung zu diagnostizieren. Es gibt in der Kriminalistik nicht einmal eine Handvoll belegter Fälle, wo multiple Persönlichkeiten Schwerverbrechen begangen haben. Das Problem ist, daß sie ihre Verbrechen häufig unter Zwang begehen, als würden sie von einer anderen, ihnen innewohnenden Person gesteuert werden. So ist ein Fall aus den USA bekannt, wo ein Serienmörder auf Befehl zweier anderer ihm innewohnender Persönlichkeiten mordete. Allerdings ist das damals von verschiedenen Experten erstellte Gutachten umstritten. Ich für meinen Teil jedoch halte diese Möglichkeit für durchaus gegeben, auch wenn etliche meiner Kollegen das Phänomen multiple Persönlichkeit ins Reich der
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