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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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Datei nicht öffnen, weil sie verschlüsselt sei. Das Einzige, was sie tun sollte, war, Lenas Absenderadresse vollständig zu löschen und nach Lenas Angaben einen neuen Unter-Account bei dem Mailserver anzumelden. Sie, Riccarda, würde die Datei nicht völlig ohne Absendercodesenden können, aber mit dem leeren Namensfeld könnte zumindest ihr Vater die Mail niemandem zuordnen.
    Unter dem Namen »alma« ging die Datei an eine Melina von Lüttich an einem Berliner Institut. Und dann noch einmal an Lenas Vater, diesmal ohne die Bezeichnung »alma«, darauf hatte Lena mehrfach Wert gelegt.
    Das war vor einer Woche. Riccarda ging die Maileingänge durch, löschte Werbung für billige Reisen nach Österreich und Werbung für eine Sekte, die Zugang zu Gott über Sex und vegane Kost versprach, sofern man nur das dafür erforderliche Handbuch erwirbt. Und die Audio-CDs.
    Da war eine neue Mail von Lena!
    Wieder kein Text, wieder eine für einen normalen Rechner ziemlich große Datei, die Riccarda nichts sagte.
    Sie folgte dem Prozedere der ersten Übertragung, löschte Lenas Mail – und nach dem erfolgreichen Absenden auch die verschlossene Datei.
    Dann sah es nach Arbeit aus. Riccarda loggte sich aus, rief die Begrüßungsseite der Alp Grüm auf und ging in die Küche.

24
    »Warum legst du dir kein Auto zu?«, fragte Ehmi, die immer strickte, wenn Melina sie im Bus traf.
    »Das Geld vom Institut reicht gerade mal für meine Wohnung. Mehr ist nicht drin. Obwohl ich heute gut eins gebraucht hätte.«
    Ehmi hielte inne mit ihrem weinroten Schal. »Sonst treffen wir uns nur morgens, oder? Das ist das erste Mal, dass wir uns abends begegnen.«
    »Ja«, sagte Melina.
    Links von der Gatower Straße lag der Landschaftsfriedhof. Ehmi begann, ihr Zeug einzupacken. »Ich bin jetzt direkt bei Professor Zucker«, sagte sie.
    »Glückwunsch«, kommentierte Melina, nicht ganz bei der Sache.
    »Heute früh haben wir die Gedopten getestet. Und jetzt müssen wir sehen, was sich in den Reagenzgläsern abgesetzt hat.«
    »Die
Gedopten
?«, fragte Melina.
    Haltestelle PALAU. Jugendliche stürzten gruppenweise aus dem Bus.
    »Ja, so heißt das. Sie haben Dopamin bekommen, darum heißen sie so.«
    Melina lachte. »Klar, ein Scherz von Zucker.«
    »Nein«, beharrte Ehmi und verstaute ihre Nadeln. »So heißt das wissenschaftlich.«
    »Ach so.«
Stricken macht doof
.
    Wahrscheinlich verdient sie auch noch mehr als ich.
    »Gehst du vor?«, forderte Ehmi Melina an der Treppe vom Oberdeck nach unten auf.
    Stricken macht doof
– sagt mein
Über-Ich?
Nein, mein
Es.
Oder sagt mein
Es:
Ignoriere diese dämliche Konkurrentin!? Nein, das
Es
sagt: Mach sie kalt! Das
Über-Ich
sagt: Das tut man aber nicht. Und das
Ich
entscheidet, Ehmi am Leben zu lassen, sie aber nicht weiter zu beachten.
    Melina musste grinsen beim Aussteigen.
    »Ich will pünktlich sein«, sagte Ehmi streng.
    Weil Melina nicht mitrannte, winkte Ehmi ihr nach. »Tschüs dann!«
    In welchen Gehirnarealen sind die drei eigentlich zu Hause? Das
Es
im Stammhirn, das
Über-Ich –
tja, wo sitzt die Moral? Das
Ich
auf jeden Fall im vorderen Kortex, in den Hirnlappen hinter der Stirn, als Stimme der Vernunft.
    Sie gähnte.
    Sonderbar: Ich denke darüber nach, wie mein Gehirn strukturiert ist. Hab bei Freud nicht richtig aufgepasst, aber egal. Denke über mein Gehirn nach. Mein Gehirn grübelt also über sich selbst. Aber es hat keine Ahnung von sich selbst. Alles, was ich vom Gehirn weiß, weiß ich aus Büchern, Vorlesungen oder Anatomiestunden.
    Ohne bewusst über ihren Weg nachzudenken, schlurfte Melina durch das Foyer zu ihrem Büro.
    Mein Gehirn weiß sogar gerade jetzt, dass es über sich selbst nachdenkt. Ich kann über meine Situation und über mein Gehirn reflektieren, mit Hilfe dieses Gehirns. Gut. Immerhin. Das können die meisten Hirne nicht. Tiere zum Beispiel. Oder Ehmi.
    Wie automatisch schloss sie die Tür auf, ganz in ihren Abendgedanken versunken.
    Ich habe ungefähr eine Vorstellung, dass meine Gedankenmit Impulsen, Synapsen und Transmittern zu tun haben. Aber was genau einen Gedanken wie gerade diesen hier entstehen lässt, wie er als chemische Formel aussieht oder als Spannungszustand, nicht nur als Impuls, sondern als verbalisierter Gedanke, davon habe ich keine Ahnung. Und die anderen hier am Institut auch nicht. Wenn irgendjemand sagen könnte, was einen Gedanken zum Gedanken macht, wäre wohl der Nobelpreis fällig.
    Wieso bin ich eigentlich in meinem Büro? Ich wollte

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