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Jung genug zu sterben

Jung genug zu sterben

Titel: Jung genug zu sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joerg Liemann
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Wirsing und viel Käse. Esdampfte, wenn sie die Gabel hineinsteckte, und es roch nach einer Spur Knoblauch und Salbei. Zur Abkühlung lagen Scheiben kalter Mortadella am Tellerrand.
    Melina ließ nichts übrig. Der Bauch war voll, das Blut hatte anderes zu tun, als im Gehirn Sauerstoff für Hochleistung abzuliefern. Dennoch war es, als hebe sich ein Vorhang. Sie nahm wahr, dass es andere Gäste gab, draußen auf der Terrasse, die über den Hang ragte. An den Fensterscheiben hingen noch Tropfen, aber die Sonne schubste die Wolken wie Rauch über die Hänge des Curnasel, dessen Spitze weiß in den blauen Himmel stach.
    Sie betrachtete die leeren Tische im Inneren des Gasthofs und bemerkte die beiden Lämpchen über dem Eingang, die die Ankunft des nächsten Zuges ankündigten. Die Gäste auf der Terrasse zahlten und machten sich zum Bahnsteig auf.
    Der Zug nach St.   Moritz war viel kürzer als der, mit dem sie aus Chur gekommen war. Er führte einen Container und einen Pritschenwagen mit einem Schneepflug. Melina ließ die Pizzoccheri anschreiben und schaute zu, wie abgefertigt wurde. Neue Gäste waren nicht angekommen, aber der Schaffner reichte dem Koch der Alp Grüm auf dem asphaltierten Bahnsteig ein Päckchen. Nach dem Pfiff fuhr der Zug in die Galerie.
    Die Sonne war gerade hinter einem Gipfel verschwunden. Melina bereute, ihre Jacke nicht mitgenommen zu haben. Die Gleise führten direkt an der Felswand entlang, und an einer Stelle hing eine Tafel am Felsen.
Zum ehr den Andenken
an
. Mehrere Buchstaben fehlten. Ein Bahnmeister und ein Vorarbeiter-Stellvertreter aus Poschiavo.
Sie fanden
hier in der Sturmnacht vom 6./​7.   3.   196 in treuer flichterfüll ng
den Lawinento.
    Was genau war das wohl für eine Pflicht? Sie schaute denFelsen hinauf. Hält so eine Holzgalerie eine richtige Lawine aus?
    Der Zug aus St.   Moritz brachte nur zwei Bahnuniformierte, die ans Buffet der Alp Grüm traten. Melina sah durchs Fenster, dass die Espressi schon auf die beiden warteten. Zuckertütenreißen. Kurz darauf sattelten die beiden Cowboys wieder auf und nahmen den Koch mit. Der Zug bog unmittelbar nach dem Bahnhof nach links, aber nur, um richtig auszuholen in eine 18 0-Grad -Rechtskurve. Und in der Kurve fuhr er bereits abwärts, so dass das Dach bald hinter dem Grün des Bahnhofsgartens abtauchte. Melina hörte Schleifen und Quietschen von unten.
    Sie hatte keine Lust, hineinzugehen und ihre Jacke zu holen. Damit ihr wärmer wurde, ging sie über die Gleise. An dieser Stelle machte der Felsen Platz für einen Weg, der sofort steil anstieg.
    Los, mach schon, werd nicht langsamer!
    Aber es zuckte in den Beinmuskeln, und die Pizzoccheri schlugen sich auf die Seite der Schwerkraft.
    Melina kam an einem kleinen Gehöft vorbei und stieg hinauf bis zum höchsten Gebäude, einem weiteren Restaurant. Alle diese Häuser waren nur durch den Weg verbunden. Eine Straße gab es nicht. Die Aussicht hinunter ins Puschlavtal ließ sie verharren, der Brustkorb hob und senkte sich noch immer vom Steigen.
    Irgendwo da hinten beginnt Italien.
    Schon wieder eine Gedenktafel.
Hier leisteten die Späher
des
FlBMD
über 20   000   Aktivdiensttage zum Schutze der
Schweizerischen Neutralität und des Friedens
.
    Sie sah zum Himmel hinauf. Ein Kondensstreifen, sehr hoch. Berlin   – Rom?
    FlBMD – aha. Flugbereitschaftsmilitärdienst? Fliegerbeobachtungsmobilitätsdivision?Flinke Bombermütter da oben   …?
    Der Abstieg war schwieriger. Mit ihren Stadtschuhen kam sie auf dem Geröll ins Rutschen. Abgelenkt von der Sicht auf den Bahnhof war sie sowieso.
    Dieser Kreis aus Gleisen und das Gras dazwischen – eine Bank, die Signale, weiter unten die Tannen – es ist eine Modelleisenbahnanlage.
    »Mögen Sie noch eine Stange Bier oder einen Kaffee?«, fragte die Geschäftsführerin.
    Melina lehnte ab.
    Die Frau sah müde und regelrecht niedergeschlagen aus. »Ich habe noch eine Bitte«, sagte sie. »Im Obergeschoss habe ich meine Wohnung. Normalerweise bin ich über Nacht hier. Ich muss allerdings morgen zu einer Abdankung in Tirano. ›Bestattung‹ heißt das bei Ihnen. Und ich habe versprochen, bei den Vorbereitungen zum Leichenschmaus zu helfen. Deshalb nehme ich jetzt gleich den letzten Zug. Sie sind natürlich nicht allein. Karl wird mit demselben Zug ankommen und heute Nacht die Stellung halten.«
    »Ich dachte schon   … «
    »Wir sind eine Bahnhofsstation«, sagte die Geschäftsführerin, als ob das noch eine triftige Begründung

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