Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
sie selber eine Kleinigkeit. Mutter kommt erst am Abend, sie muss bestimmt in vielen Geschäften nachgucken, um mir die richtige Puppe auszusuchen. Nach dem Mittagessen gehe ich raus auf die Straße. Es ist noch keiner da. Norbert hat vielleicht Stubenarrest wegen Thorsten. Als Erste kommt Sabine. Sabine ist adoptiert worden, alle wissen das, nur Sabine selbst nicht. Ich finde, es ist egal, ob jemand adoptiert ist oder nicht. Dann kommen auch Uwe und Wolfgang Thorwardt.
«Was gab’s bei euch zu essen?»
«Kartoffeln mit Soße.»
Bei Sabine gab es falschen Hasen, ein Hackgericht. Wir klingeln bei Heike.
«Darf Heike kommen?»
«Nein, die kommt heute nicht.»
Heikes Bruder Jochen ist schon vierzehn und konfirmiert und hockt die ganze Zeit auf seinem Zimmer. Ich habe ihn schon seit Wochen nicht gesehen. Seitdem er aufs Gymnasium gekommen ist, ist er ganz still geworden. Ich grübele darüber nach, warum Heike nicht kommt. Vielleicht hat sie Stubenarrest. Ich hoffe nicht, dass sie es ihrem Bruder gleichtun will. Es ist sehr schade, dass Heike heute nicht kann. Uwe Thorwardt schickt Wolfgang wieder weg, weil er ihm lästig ist, dann gehen wir mit Sabine zu dritt ins Tannenwäldchen.
Das Tannenwäldchen ist ein winzig kleiner Wald direkt im Anschluss an die Siedlung, von dort an geht ein Kornfeld bis zum Bach herunter. Im Herbst, wenn es viel geregnet hat, läuft das Regenwasser vom Langenbeker Feld in den Bach, und an manchen Tagen stauen wir ihn. Einmal haben Norbert und ich das Flussbett mit einem Spaten aufgegraben, und dann gab es eine Überschwemmung. Oder wir spielen Klackermadatsch. Jetzt führt der Bach nur ein dünnes Rinnsal. Uwe hat ein Brennglas mit. Wir suchen so lange, bis wir eine Ameisenstraße finden, dann versengt Uwe die winzig kleinen schwarzen Viecher. Er sagt, dass Ameisen schädlich sind, aber Sabine sagt, dass es nicht stimmt, die würden tote Insekten vertilgen, und außerdem hat jedes Tier seinen Platz, und schädlich sind höchstens Maden oder Wespen. Bald wird es Uwe langweilig mit den Ameisen, also nimmt er sich einen Regenwurm vor. Als der Lichtstrahl den Wurm trifft, brutzelt es, und der Wurm zieht sich zusammen und stinkt. Sabine ruft, dass er aufhören soll, weil das Tierquälerei ist, aber Uwe behauptet, der Wurm wäre primitiv und würde das gar nicht merken. Das sieht aber nicht so aus, wie er sich krümmt und verzweifelt versucht, dem glühend heißen Strahl zu entkommen. Sabine schreit ihn an, er soll das endlich lassen, sonst petzt sie, dass Uwe ein Tierquäler ist. Uwe hört endlich auf, aber der Wurm ist verschmurgelt und kann auch nicht mehr wegkriechen und nichts. Dann steht Uwe auf und zertritt ihn. Sabine läuft davon. Uwe lässt sich zwar nichts anmerken, aber ich merke, dass er ein schlechtes Gewissen hat, glaube ich.
«Komm, wir gehen zu Langwerner», sagt er, um abzulenken. Herrn Langwerner gehört der Kaufmannsladen in der Siedlung. Einen Pro-Supermarkt, Bäckerei und Reinigung gibt es erst im neuen EKZ in Hanhoopsfeld. Bei Herrn Langwerner kriegt man aber sowieso fast alles, was das Herz begehrt, auch frisches Brot und Eier und Milch, und eine Wursttheke mit Wurst und Käse gibt es auch. Manchmal arbeitet Frau Daumann halbe Tage, Mittwoch und Samstagvormittag, aber sonst schmeißt Herr Langwerner den Laden alleine. Er arbeitet ununterbrochen, und wenn er nicht selber im Laden steht und verkauft und alles appetitlich anordnet, dann fährt er mit seinem Mercedes nach Hamburg zum Großmarkt. Er hat einen Sohn, der aber schon längst ausgezogen ist und in Hannover studiert. Herrn Langwerners Frau ist Hausfrau und kommt noch nach Ladenschluss zum Putzen. Uwe kauft sich ein Mr. Freeze und ich einen Riegel, einen Leckerschmecker, im Fernsehen läuft immer Werbung dafür: «Leckerschmecker hört nie auf.» Weil man denkt, dass der lange Riegel nie zu Ende geht und nie aufgebraucht ist. Ich lutsche erst ganz langsam die Vollmilchschokolade herunter und esse dann das Karamell in einem Rutsch. Eine Mark habe ich noch, aber die ist geklaut, und jetzt muss ich auf der Hut sein, dass die Erwachsenen es nicht bemerken, denn eigentlich habe ich ja nichts. Wir setzen uns auf den Mülleimerplatz vor den Laden und lassen die Beine baumeln, ich setze mich extra so hin, dass ich die Straße im Blick habe und den Leckerschmecker schnell verschwinden lassen kann, wenn’s drauf ankommt. Ich weiß zufällig, dass Herr Langwerner Frank Loose zur Konfirmation zehn Mark geschenkt hat, das
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