Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
bekannten Sorten, aber besser. Nach dem Essen bleibe ich sitzen und lasse Oma Emmi das schmutzige Geschirr in die Küche schaffen. Wenn ich ihr helfen soll, kann sie es ja kundtun, aber sie macht keinen Mucks. Lexi guckt mich gierig an. Ich drehe ihm die Handflächen hin, um zu zeigen, dass es nichts mehr gibt, aber der Hund lässt nicht locker. Während des Abendbrots hat Oma Emmi ihm viermal Leberwurstbrotstücke gegeben. Kein Wunder, dass er sich nicht bändigen lässt. Als Oma Emmi mit nassen Händen zurückkommt, machen wir es uns vor dem Fernseher gemütlich, ich im Sessel und Emmi auf dem Sofa. Sie sieht ganz erschöpft aus. Kein Wunder, so viel Trubel hat sie bestimmt schon lange nicht mehr erlebt. In der Tagesschau läuft ein Bericht über Willy Brandt. Oma Emmi macht abfällige Bemerkungen über den Bundeskanzler. Sie ist mit der neuen Linie nicht einverstanden. Ich weiß auch, warum, denn die Russen haben im Krieg Oma Emmis kleines Hotel in der Nähe von Berlin besetzt und sie über viele Wochen gequält. Und das sitzt natürlich bis heute.
Der Wetterbericht verspricht weiterhin herrlichsten Sonnenschein, und ich grübele darüber nach, wie es morgen wohl weitergeht. Ob ich noch mal den Holzapfelhof betreten darf? Oder gelte ich jetzt als schlechter Einfluss und bin nicht mehr gern gesehen? Dann müsste ich dafür sorgen, dass ich mit den Kindern vom Ristoffhof ins Gespräch komme.
«So, Mathias, dann wollen wir uns mal langsam fertig machen.»
Und nun? Ich habe mir noch gar keine Gedanken darüber gemacht, wo ich schlafe. Außer dem Wohnzimmer gibt es noch ein Schlafzimmer mit einem Doppelbett und ein zweites, kleines Zimmer mit einem Klappbett. Hier ist es allerdings sehr unordentlich, und der Raum dient vor allem als Abstellkammer.
«Geh man schon mal vor ins Schlafzimmer, ich muss mich noch bettgehfertig machen.»
Also muss ich mit ihr in einem Zimmer schlafen, in einem Bett! Ich weiß gar nicht, ob mir das lieb ist. Außerdem bin ich noch nicht müde und würde gerne noch was lesen, aber Oma Emmi ist sicher dagegen, weil sie gleich das Licht ausmachen will. Wenigstens kann ich noch so lange schmökern, bis sie mit ihrer Toilette fertig ist. Jetzt, wo ich allein bei offenem Fenster im Bett liege, merke ich erst, wie still es ist, nichts, rein gar nichts ist zu hören. Aus Langeweile schaue ich in die Nachtischkommode. Und jetzt kommt’s: Dort liegt, unter ein paar Tüchern versteckt, ein Revolver! Sofort schlägt mein Herz bis zum Hals. Es handelt sich um eine Automatikpistole, das sehe ich auf den ersten Blick. Leider ungeladen. Ob die echt ist? Ich durchstöbere die Schublade und alle anderen Schubladen nach Munition, werde aber nicht fündig. Morgen werde ich das ganze Haus durchsuchen, irgendwo wird sie die Munition schon versteckt haben. In die Stille dringt plötzlich ein knatterndes Geräusch. Und gleich noch mal. Ich grübele, was es sein könnte, dann wird mir schlagartig klar, dass Oma Emmi im Bad welche ziehen lässt. Es hört gar nicht mehr auf, als ob sie es den ganzen Tag aufgespart hätte, um vor dem Schlafengehen einmal richtig loszupupen. Natürlich denkt sie, ich würde es nicht hören, aber es ist so still, dass man selbst das kleinste Geräusch mitkriegt.
Ich höre, wie die Badezimmertür aufgeht und Oma Emmi durch den langen, großen Flur schlurft, vielleicht will sie in der Küche noch ein Glas Wasser trinken oder etwas Ähnliches. Dabei lässt sie wieder einen ziehen. Der Lichtspalt unter der Schlafzimmertür erlischt, und eine mumienmäßig einbalsamierte Emmi kommt hereinspaziert. Ich kriege einen Schrecken, sie hat sich zentimeterdick Nivea ins Gesicht geschmiert.
«So, Mathias, jetzt wollen wir mal gleich schlafen.»
Ich bin eigentlich ganz froh darüber, dass Oma Emmi nicht religiös ist und wir nicht noch gemeinsam beten müssen. Von Oma weiß ich, dass sie im Krieg ihren Glauben verloren hat.
«Schön, dass du mich mal besuchen kommst, Mathias.»
Sie nimmt meine Hand und drückt fest zu. Ich fühle mich etwas unwohl dabei und stelle mir vor, wie sie mit Onkel Horst auch immer so Hand in Hand gelegen hat, und so sind sie dann zusammen eingeschlafen. Vielleicht beruhigt es sie ja, deswegen mag ich meine Hand nicht wegziehen, ich will ja auch nicht, dass sie denkt, ich würde mich vor ihr ekeln. Wir wissen beide nicht, wie wir es machen sollten, die Finger ineinanderschieben oder nicht. So liegen wir eine Weile, dann endlich lockert sich ihr Griff, und sie fängt
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