Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
kombiniert!
«Nach dem Mittag wieder hier», sagt er. «Nimm dein Fahrrad mit und Badesachen und was zu lesen.»
Dann stratzt er weg.
Schwer zu sagen, was das genau von der Uhrzeit her heißt, wahrscheinlich eins, halb zwei. Ich beschließe, vor dem Mittagessen die weitere Umgebung zu erkunden. Geht man die Schulstraße ins Dorf hinein, kommt rechter Hand zuerst die Schule, im Dorf selber gibt es dann einen kleinen Edekamarkt, den Schlachter Lohmann, die Bäckerei Weiss und die Kneipe «Zur scharfen Ecke», die aber um diese Zeit natürlich noch geschlossen hat. Beim Schlachter hingegen herrscht reger Betrieb. Hier kauft Oma Emmi also unsere Koteletts. Beim Gedanken daran bekomme ich Appetit, und ich frage mich, ob es heute wohl wieder Fleisch gibt.
Lexi lässt vor Freude Wasser und winselt, dass es einem durch Mark und Bein geht. Irgendwas stimmt mit dem Hund nicht, wie er verzweifelt an mir hochspringt, wirkt es so, als wäre er mit seinem Hundeleben ganz und gar nicht zufrieden. Vielleicht, denke ich, ist er kein Hund, sondern ein Mensch, den es von einem Moment zum nächsten in einen Dackelkörper verschlagen hat. Und jetzt kann er sich nicht verständlich machen und ist bis zum Lebensende dazu verdammt, als Hund durch die Gegend zu rennen.
Schon als ich die Auffahrt hochgehe, riecht es nach Kotelett. Von mir aus bräuchte sich das nie zu ändern, ich könnte jeden Tag Kotelett essen, nur die Beilagen müssten ab und an ausgetauscht werden.
«In zehn Minuten gibt es Essen. Wasch dir die Hände und setz dich schon mal auf deine vier Buchstaben.»
Als ich ins Wohnzimmer gehe, trifft mich ein Schock: Im Fernsehsessel sitzt eine steinalte, kleine Frau mit einer viel zu großen Brille. Sie hat einen winzigen Mund und trägt dicke Strümpfe, ich weiß zufällig, dass es medizinische Strümpfe gegen Krampfadern sind. Vom Alter schätze ich sie auf achtzig bis neunzig. Wie sie so stumm und reglos dasitzt, könnte man meinen, es mit einem Gespenst zu tun zu haben. Kaum habe ich mich vom ersten Schrecken erholt, kommt Oma Emmi schon mit einer dampfenden Schale Petersilienkartoffeln herein.
«Das ist Frau Donath, Mathias, die Mutter von Herrn Donath. Sie kommt manchmal vorbei.» Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, und gebe Frau Donath die Hand. Ihre ist winzig, die Haut gefleckt. Frau Donath hat überhaupt keinen Händedruck, und man hat Angst, ihre Knöchelchen zu brechen. Ich kenne Herrn Donath nur vom Hörensagen, die Donaths sind eine der neu hinzugezogenen Familien aus den Fertighäusern. Komischer Name, Donath. Ich stelle mir vor, dass er eigentlich Don ald heißt und auch so aussieht wie Donald Duck. Wenn man die alte Frau Donath genauer unter die Lupe nimmt, sieht sie eigentlich auch aus wie eine Ente. Mir ist es überhaupt nicht recht, dass während des Mittagessens eine fremde Frau an unserer Tafel sitzt, bei den Mahlzeiten sollten eigentlich nur Familienmitglieder am Tisch Platz finden. In der Küche stelle ich Oma Emmi deswegen zur Rede. Sie sagt, dass Frau Donath fast jeden Tag außer am Wochenende kommt und dann einfach nur ein paar Stunden im Sessel sitzt. Sie stört nicht weiter, und irgendwann geht sie von selber wieder. Zu essen und zu trinken möchte sie auch nichts. Frau Donath ist schwerhörig und daheim den ganzen Tag allein, weil Herr und Frau Donath berufstätig sind. Da ist es ein Gebot der Mitmenschlichkeit, sie gewähren zu lassen. Ich vermute, dass Oma Emmi von ihrem seltsamen Gast genauso profitiert, denn obwohl Gespräche mit Frau Donath kaum möglich sind, ist sie doch immerhin ein menschliches Wesen, das man betüddern kann. Frau Donath ist für Oma Emmi so etwas wie Frau Klippstein für meine richtige Oma, nur dass man Frau Klippstein nicht sieht, während man Frau Donath sieht, aber nicht hört. Als Nächstes stellt Oma Emmi eine Schüssel mit Mohrrüben auf den Tisch. Die sehen aber auch nicht mehr gut aus. Ich ekle mich zwar, muss aber wenigstens ein klein wenig davon essen, damit Oma Emmi nicht beleidigt ist. Unauffällig spucke ich den Speisebrei in meine Hand und halte sie dann unter den Tisch, wie gestern Oma Emmi mit dem Kotelett. Sofort spüre ich Lexis gierige Hundeschnauze, er kann ja nicht ahnen, was ich ihm da hinhalte. Nach wenigen Augenblicken fängt er an zu würgen, dann wieselt er in den Flur, und man vernimmt Kotzgeräusche.
«Wollen Sie nicht doch eine Kleinigkeit essen, Frau Donath, ich habe wieder mal viel zu viel gemacht.»
Das stimmt natürlich
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