Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
leise an zu schnarchen. Jetzt könnte ich die Nachtischlampe anmachen und lesen, aber ich denke lieber an den Tag zurück. Es kommt mir vor, als wäre ich viele hundert Kilometer von zu Hause entfernt und schon sehr lange hier. Ich habe jedenfalls kein Stück Heimweh, nur an Oma denke ich und ihre Sorgen. Hoffentlich kann ich morgen wieder auf den Holzapfelhof. Ich rechne zusammen: Luftgewehrschießen, Motorrad fahren und die Pistole von Oma Emmi. Ich schließe die Augen und höre in der Ferne einen Güterzug vorbeirattern. Die Grillen zirpen. Ich habe mal gehört, dass auf jeden Menschen eine Million Insekten kommen. Wahrscheinlich gewinnen also am Ende die Insekten. Die Geleise sind bestimmt mehr als einen Kilometer entfernt. Ach, ist das gemütlich, fast so gemütlich wie zu Hause unterm Dach, wenn es regnet.
Tonkuhle
Ich wache davon auf, dass Lexi jaulend und winselnd auf das Bett springt. Oma Emmi hat ihn hereingelassen, als Weckkommando. Sofort renne ich zum Fenster und reiße die schweren, grünen Vorhänge auf: herrlichster Sonnenschein! Oma Emmi hat schon Frühstück vorbereitet, das ist ein Service! Es gibt getoastetes Roggenbrot mit selbstgemachter Erdbeermarmelade und dazu einen grünen Apfel. Ausgerechnet Apfel, und dann noch grün! Ich mag rohes Obst genauso wenig wie Tee und Äpfel schon gar nicht, höchstens mal Erdbeeren. Oma Emmi besteht jedoch darauf, dass ich den Apfel ganz esse. Ich sage ihr, dass ich das Geräusch beim Reinbeißen nicht abkann, alles krampft sich dann in mir zusammen, und ich könnte mich schütteln. Doch so einfach komme ich nicht davon: Sie schält den Apfel und schneidet ihn in kleine Stücke. Wie ein alter Opi, denke ich, fehlen nur noch Haferflocken. Na ja, ich tu ihr den Gefallen; man merkt ja, dass sie beim Essen überhaupt keinen Spaß verträgt.
Nach dem Frühstück gilt es, die Lage auf dem Holzapfelhof zu erkunden. Ich pirsche vorsichtig die Schulstraße hoch. Gähnende Leere, kein Mensch weit und breit. Verborgen hinter den schützenden Eichen, werde ich Zeuge eines denkwürdigen Schauspiels: Manfred und Wilfried junior kommen in knallgelben, nagelneuen Nylon-Windjacken aus dem Haus und schuppern sich damit an einer riesigen Eiche, so als wollten sie sich den Rücken kratzen. Ich verstehe beim besten Willen nicht, warum die sich die Jacken gleich ruinieren, und kann meinen Blick nicht abwenden, bis wie aus dem Nichts Hummel vor mir auftaucht. In diesem Moment bin ich kein Freund der Familie, sondern ein Eindringling. Vor Panik spüre ich schon fast, wie mich das mehr als fünfzig Kilo schwere Tier in die Wade beißt. Doch in allerletzter Sekunde sieht Manfred mich und gibt Entwarnung. «Hummel, ruhig, ganz ruhig!» Daraufhin scharwenzelt der Hund um mich rum und bewegt dabei hektisch sein Hinterteil. Ob so ein Tier nicht merkt, dass es keinen Schwanz hat? Mir fällt erst mal ein Stein vom Herzen. Manfred winkt mich auf den Hof. Er scheint guter Dinge zu sein. Dann kann die gestrige Bestrafung ja doch nicht so hart ausgefallen sein. Ich frage ihn, was das soll mit dem Reiben. Manfred erklärt, dass ihre Mutter ihnen gestern die Jacken bei Kaufhaus Bader in Tostedt gekauft hat und dass sie das mit allen neuen Kleidungsstücken machen, weil sie es nicht abkönnen, wenn die neu aussehen, darum sauen sie die als Erstes immer ein. Wenn mir so was mal einfallen würde! Ich halte jedoch besser den Mund und tu so, als wäre das die normalste Sache der Welt. Ich bin schließlich neu und muss mich anpassen und mich Schritt für Schritt mit den Gepflogenheiten vertraut machen. Plötzlich ertönt ein Pfiff. Wilfried junior zuckt zusammen, stellt sofort die Schupperei ein und rennt zu den Stallungen. Wie in Stein gemeißelt steht Herr Holzapfel im Türrahmen und erwartet seinen Erstgeborenen. Sein Gesicht ist schon wieder rot wie eine Rübe. Manfred ist ebenfalls starr vor Schreck, rührt sich aber nicht vom Fleck, der Pfiff galt wohl Wilfried. Vielleicht ist für Wilfried ein Pfiff das Signal und für Manfred zwei, das lässt sich sicher bald herausfinden. Alles zu seiner Zeit. Nachdem Wilfried senior und Wilfried junior von der Bildfläche verschwunden sind, setzt Manfred unverdrossen die Schupperei fort. Die Jacke ist mittlerweile graugrün, und von der Ursprungsfarbe kann man kaum noch etwas erkennen. Bei uns zu Hause käme eine Jacke in so einem Zustand höchstens noch in die Kleidersammlung. Erneut ertönen zwei schrille Pfiffe. Manfred macht sich sprungbereit. Clever
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