Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
soll es auch in Zukunft bleiben. Zum Glück haben Holzapfels keine turmhohen Turnierpferde, wie man sie von den Olympischen Spielen kennt, sondern jugoslawische, sogenannte Bosniaken, die liegen von der Größe zwischen Pony und normalem Pferd. Geritten wird ohne Sattel. Zum Glück hat mir Herr Holzapfel hochgeholfen, alleine wäre ich niemals auf den Gaul gekommen. Wie das Pferd schon gerochen hat, war mir zuwider. Das Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde, von wegen. Wer sich das ausgedacht hat, dem gehört eine Abreibung verpasst. Die einzigen anständigen Pferde sind die von Holsten, weil die das Bier bringen. Erst mal ging es in Schrittgeschwindigkeit die Schulstraße hoch bis zur Eisenbahnbrücke, Manfred vorweg, dann Jens, Kai und ich als Schlusslicht.
Im Schritt hatte ich Gelegenheit, mich an den Bewegungsablauf zu gewöhnen und beruhigend auf das Tier einzuwirken. Das war auch bitter nötig, denn als die Straße in den Waldweg überwechselte, ging es über in den Trab. Bereits jetzt hatte ich ständig Mühe, nicht abzurutschen. Zum Glück war ich der Letzte, und die anderen bekamen nichts davon mit, dass ich wie ein Spast rumgeeiert bin. Dann geschah das Unvermeidliche: Manfred fiel in den Galopp. Und das auf den engen Waldwegen! Da war es nur eine Frage der Zeit, bis ein Unglück passierte. Erschwerend kam hinzu, dass ich den mit Abstand lahmsten Klepper von allen hatte. Als sich plötzlich eine Lichtung auftat und der Weg breiter wurde, zog Manfred das Tempo noch mal an, und irgendwann ist mein Gaul nicht mehr mitgekommen. Eins nach dem anderen gerieten die übrigen Pferde aus dem Blickfeld. An einer Abzweigung wusste meine lahme Ente schließlich nicht, ob links oder rechts, und blieb abrupt stehen, von hundert auf null in einer Sekunde. Ich flog in hohem Bogen runter, ein Wunder, dass ich mir dabei nicht das Genick gebrochen habe. Da habe ich also dagelegen und meine Gliedmaßen betastet, während der Gaul friedlich graste. Von den anderen war nichts zu sehen oder zu hören.
Nach einer Weile, die Dämmerung war schon hereingebrochen, habe ich es mit der Angst zu tun bekommen, ich wusste ja weder, wo ich war, noch wäre ich ohne fremde Hilfe wieder auf den Klepper gekommen. Ein Elend. Endlich hörte ich es von ferne tuckern, und tatsächlich haben mich kurz darauf Herr Holzapfel und Wilfried junior mit dem Trecker aufgegabelt. Herrn Holzapfel habe ich richtig angesehen, wie wütend er wieder war. Jedem anderen hätte er sicher sofort eine reingehauen.
«Was ist los mit dir, du Eddel! Ich denk, du kannst das?»
«Kann ich auch, aber das Pferd hat vor irgendwas gescheut.»
«Ja und? Dann steigt man eben wieder auf.»
«Aber ich dachte, ich bleib lieber, damit die anderen mich finden, ich weiß ja gar nicht, wo wir sind.»
«Jaja, nun hör mal auf zu labern und steig auf. Wilfried reitet dein Pferd nach Hause. Nichts als Ärger machst du. Laumann.»
Ich habe mir geschworen, dass dieses Erlebnis das letzte sein sollte, das ich mit Pferden hatte.
Am vorletzten Feriensonntagnachmittag hocken wir wie immer gemeinsam in Holzapfels guter Stube und gucken «Die Leute von der Shiloh Ranch». Für uns Kinder gibt es zusätzlich zum Kuchen noch eine Packung Negerküsse. Da sitzt die ganze Familie inklusive Frau Schlummbohm und dem Rottweiler Hummel beisammen, und ich bin ganz stolz, dass ich als Fremder dabei sein darf.
«Du musst mal zum Putzer, Matten.»
Erst fühle ich mich nicht angesprochen, aber als die ganze Runde verstummt, merke ich, dass Herr Holzapfel das Wort an mich gerichtet hat. Matten ist die ländliche Abkürzung von Mathias, und was Putzer heißt, ist ja klar.
«Finden Sie?»
«Geh so mal zur Musterung. Die haben richtig Bock auf dich.»
«Wieso Musterung? Ich muss doch erst mal die Schule zu Ende machen.»
«Wenn du mit so ’ner Matte zum Kreiswehrersatzamt gehst, kannst du richtig was erleben.»
«Ach so.»
«Mann, Mann, Matten.»
Das erste Mal überhaupt meldet sich Frau Schlummbohm zu Wort, indem sie das plattdeutsche Lied «Lütt Matten de Haas» anstimmt, da kommt der Name Matten wohl her.
«Lütt Matten, de Haas
de maak sich een Spaß
he weer bi’t Studeern
dat Danzen to lehrn
un danz ganz alleen
op de achtersten Been.»
Ich versteh kein Wort, bin aber stolz wie Oskar, dass ausgerechnet Herr Holzapfel sich die Mühe gibt, mich mit einem Spitznamen zu bedenken. Die kleine Silke macht keinen Pieps, ich frage mich, ob das vielleicht an ihrer Behinderung liegt.
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