Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
dem er Angst hat. Dann überstürzen sich die Ereignisse, denn nun stürzt ein kleiner, untersetzter Mann wie ein wildgewordener Brummkreisel auf Herrn Holzapfel zu. Das kann niemand anderes als Herr Ristoff sein! Ich habe ihn zwar noch nie gesehen, aber er ist es ohne Zweifel. Im Schlepptau hat er Jens. «Hör auf, oder ich mach dich kaputt», brüllt er mit Schaum vor dem Mund. Gegen Herrn Holzapfel hat er zwar nicht die geringste Chance, aber das interessiert ihn in seiner Wut anscheinend gar nicht.
Die Gerte in der linken Hand, hält Herr Holzapfel Herrn Ristoff mühelos auf Distanz, indem er ihm den ausgestreckten rechten Arm vor die Stirn hält. Herr Ristoff schlägt um sich wie ein Wahnsinniger, aber seine wilden Schwinger verpuffen, was ihn nur noch rasender macht. Herr Holzapfel genießt seinen Triumph sichtlich, er grinst Herrn Ristoff dreckig an: «Na, kommst nicht ran, du Zwerg? Scheiße, wenn man so ’n Abgebrochener ist, wa?»
Herr Ristoff sieht aus, als ob er vor Zorn gleich ohnmächtig würde. Es lässt sich keine Situation erdenken, in der ein einzelner Mensch wütender werden könnte als Herr Ristoff jetzt gerade. Mit einem Mal duckt er sich, ergreift einen umliegenden Ast und zieht mit voller Wucht durch. Er trifft Herrn Holzapfel aber nur an der Schulter. Keuchend bleibt Herr Ristoff stehen, er weiß, welchen Preis er nun zahlen muss und dass nun möglicherweise sein letztes Stündchen geschlagen hat. Jetzt macht Herr Holzapfel ernst:
«So, du Tittenclown, jetzt lass ich dich abblubbern! Jetzt hast du Geburtstag!»
Er schlägt ihm erst mit voller Wucht in den Bauch und zieht dann mit dem Knie durch. Herr Ristoff sackt zusammen und bleibt wie tot liegen. Oben in luftiger Höhe der wimmernde Sohn und der Vater zusammengekrümmt auf dem Boden. Jens steht daneben und weiß nicht recht, was er machen soll. Mit den Worten «Die Kirschen könnt ihr behalten, die habt ihr euch verdient» stapft Herr Holzapfel davon, seine Frau, Frau Schlummbohm und Hummel im Gefolge. Ich zittere am ganzen Leib. Noch nie habe ich gesehen, wie jemand volles Rohr zusammengehauen wurde. Wie soll ich mich nur verhalten? Angewurzelt stehen bleiben kann ich schließlich schlecht, aber wenn ich den Holzapfels in die Wohnküche folge, als wenn nichts gewesen wäre, trifft mich die Rache von Herrn Ristoff später bestimmt ebenso. Denn wenn eines sicher ist, dann, dass es heute noch Verletzte gibt.
«Ich hau mal ab», sage ich. Herr Ristoff liegt immer noch am Boden, und Jens ist damit beschäftigt, seinen Bruder aus dem Baum zu ziehen. Bestimmt hat Herr Ristoff ein Gewehr, mit dem wird er am Abend zurückkommen und kurzen Prozess machen. Zuzutrauen wär’s ihm, und an seiner Stelle würde ich es genauso machen. Mit einer derartigen Schmach, noch dazu vor aller Augen, kann man schlecht weiterleben. Und ich wäre vielleicht auch dran, auf einen mehr oder weniger kommt’s dann schließlich auch nicht mehr an.
Abends im Sessel achte ich darauf, dass der Fernseher ganz leise gedreht ist, damit ich die Schüsse hören kann. Auch als wir uns um neun langsam bettgehfertig machen, ist das noch kein Grund für Entwarnung. Vielleicht geht’s ja erst los, wenn alle schlafen und sich in Sicherheit wiegen, und wer weiß, ob Herr Ristoff später noch zu uns kommt.
Den Sonntag verbringe ich bei Oma Emmi auf dem Grundstück. Die freut sich natürlich, dass ich zur Abwechslung mal einen ganzen Tag bei ihr bin. Nach dem Mittagessen kommt wie immer Frau Donath. Es riecht, als ob sie sich in die Hose gemacht hätte. Mir ist ganz schwer ums Herz, aber nichts in der Welt brächte mich jetzt noch mal auf den Holzapfelhof. Wenn ich nur wüsste, was passiert ist. «Die Leute von der Shiloh Ranch» gucke ich bei Oma Emmi, und als die Abspannmusik kommt, zerreißt es mir fast das Herz. Ich gebe Oma Emmi noch ein Küsschen und wähle sicherheitshalber den Weg durch den Ort zum Bahnhof, damit ich nicht beim Holzapfelhof vorbeimuss.
Herr Dierks
Jetzt bin ich tatsächlich Gymnasiast. Eigentlich könnte ich stolz sein, aber ich fühle mich ganz elendiglich. Obwohl das Alexander-von-Humboldt-Gymnasium auf demselben Gelände wie die Volks- und Realschule Hanhoopsfeld liegt, weht hier ein ganz anderer Wind, das merkt man gleich. Unser Klassenzimmer liegt im Barackentrakt, der nach dem Krieg errichtet worden ist, als die ganze Schule in Schutt und Asche lag. Meine Mitschüler und ich warten vor der Baracke, bis unser neuer Klassenlehrer aufschließt.
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