Junge rettet Freund aus Teich (German Edition)
stimmt.»
Er guckt in die Runde, man spürt richtiggehend, dass er sich jemanden herauspicken möchte. Hoffentlich nicht mich! Doch zum Glück trifft es einen Jungen, den ich nicht kenne. Gott sei Dank, gerettet!
«Wie heißt du?»
«Thomas.»
«Thomas, deine Lösung.»
«Ich weiß es nicht.»
«Aber du musst doch eine Lösung haben, auch wenn sie falsch ist. Vielleicht ist sie ja sogar richtig. Also raus mit der Sprache.»
Herr Dierks weiß ganz genau, dass auch Thomas noch nicht einmal die Frage verstanden hat. Genauso gut hätte Herr Dierks Chinesisch sprechen können. Wenn er mich fragen würde, würde ich tausend sagen oder eine Million, dann hat der Spuk ein Ende, und Herr Dierks weiß so gleich, was er in Zukunft von mir zu erwarten hat.
Herr Dierks schüttelt stumm den Kopf, und ohne dass er die Lösung verrät, geht’s gleich weiter zur zweiten Aufgabe. «Für diejenigen unter euch, die sich noch etwas schwertun, werde ich die nächste Aufgabe an die Tafel schreiben, damit jeder in Ruhe drüber nachdenken kann: Ein Autofahrer will von Augsburg nach München fahren. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 84 km/h würde er dafür 50 Minuten brauchen. Die ersten 50 Kilometer geht es mit durchschnittlich 100 km/h flott voran. Dann allerdings steht das Auto wegen eines Unfalls auf der Autobahn 18 Minuten im Stau, bevor es mit einem Durchschnittstempo von 50 km/h weitergeht. Um wie viele Minuten kommt der Autofahrer gegenüber der Planung zu spät in München an? Ich gebe euch drei Minuten, in dieser Zeit kann ein jeder auf die Lösung kommen. Los geht’s!»
Er hält tatsächlich eine Stoppuhr in der Hand.
Ich lese die Frage wieder und wieder, bis die Buchstaben vor meinen Augen tanzen und verschwimmen. Woher soll ich das denn überhaupt wissen? Um mich herum wird fieberhaft gekritzelt. Ich kliere auch irgendwas in mein Heft, um nicht aufzufallen. «Gerade sitzen, Kopf nicht stützen, Hände falten, Schnabel halten!» Wieso können das überhaupt welche wissen? So was hatten wir doch noch nie, sind die alle verrückt geworden? Oder haben die sich in den Ferien auf Mathematik vorbereitet, während ich faul an der Tonkuhle gelegen und Vögel ermordet habe?
Herr Dierks unterbricht.
«Eine Minute ist um, es bleiben noch zwei.»
So viel kann ich auch noch rechnen! Das sagt er nur, um uns rauszubringen. Wieso überhaupt Augsburg und München? Ich weiß gar nicht genau, wo Augsburg überhaupt liegt.
Herr Dierks unterbricht erneut.
«So, noch sechzig Sekunden.»
Halt bloß die Schnauze! In meiner Verzweiflung addiere ich alle Zahlen und teile sie durch zwei. 84 + 50 + 100 + 18 + 50 = 302. Geteilt durch zwei sind 151.
«Drei Minuten sind um. Wer hat die Lösung?»
Diesmal melden sich sogar acht Schüler. Das gibt es doch gar nicht! Wieso wissen das jetzt statt sieben auf einmal sogar acht? Die Frage war doch sogar noch schwerer.
«Gegenprobe. Wer weiß es nicht?»
Kein Handzeichen.
«Also haben alle eine Lösung. Na, da bin ich mal gespannt. Hier, du, wie heißt du?» Er meint mich.
«Mathias.»
«Mathias, wie viel hast du raus?»
«151.»
Herr Dierks macht eine lange Pause. Dann sagt er:
«Erklär uns doch bitte, wie du darauf gekommen bist. Komm am besten an die Tafel und rechne uns das mal vor.»
Ich werde hier noch mein blaues Wunder erleben, so viel ist sicher.
Lexi
Alles ist so gekommen, wie ich befürchtet habe, eigentlich fast noch schlimmer. Mein Notendurchschnitt hat sich im ersten Halbjahr um eine ganze Note verschlechtert. In der letzten Mathearbeit hatte ich sogar eine Sechs, so eine schlechte Note hatte ich überhaupt noch nie. Mutter will mir Nachhilfeunterricht spendieren, obwohl sie eigentlich kein Geld dafür hat, sagt sie. So ein Quatsch, das bezahlen doch sowieso die Großeltern!
Herr Dierks ist ein echter Fiesling, der immer dann zur Höchstform aufläuft, wenn er die Klassenarbeiten zurückgibt. Er macht daraus ein richtiges Schauspiel von einer vollen Schulstunde. Er zieht die Verteilung gekonnt in die Länge und weidet sich an den Qualen von uns Schülern. Zuerst gibt er immer die beste Arbeit zurück, und die stammt jedes Mal von Gundula Ortlieb. Die blöde Kuh. Dafür ist sie hässlich wie die Nacht und hat Kartoffelstampfer. Er hält sich mit den Einsern und Zweiern ewig auf, erläutert lang und breit die Lösungen und lobt die paar Musterschüler über den grünen Klee. Dann geht’s langsam abwärts. Bei den durchschnittlichen Arbeiten ist er
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