Jungen und Maedchen - wie sie lernen
einem Urteil von außen (d. h. von Lob oder Tadel). Ein Junge, der nie richtig Fußball spielen darf, sondern nur heute dribbeln, morgen herumlaufen, übermorgen Krafttraining machen muß, wird ewig abhängig bleiben vom Urteil der Person, die alles beurteilen kann. Es ist wie im industriellen Fertigungs-Prozeß: Im Zenith des Industrie-Zeitalters (1950-er bis 1960-er Jahre) mußten Arbeiter kleine Teil-Arbeiten verrichten, deren Sinn sie nicht kannten und deren Qualität sie auch nicht selbst beurteilen konnten. Ergebnis: sogenannte Motivations-Probleme (vgl. mein Buch Birkenbihl on Management ). Später begriff man, daß Arbeitnehmer sowohl einen Sinn in ihrer Arbeit sehen als auch selbst beurteilen können müssen, wie gut ihre Leistung ist – Qualitätskontrolle an der Quelle sozusagen. In dem Maß, in dem Firmen diese Zielstellung verwirklichen, sinken Fluktuation und Krankheitsstand.
Auf die Schule übertragen können wir sagen: Je schlechter die Leistungen der Schüler, desto klarer wird noch nach Industriestaats-Normen von früher vorgegangen. Ein Blick in die PISA-Sieger-Länder (von 2000) Finnland und Schweden oder jene, die seither maßgeblich aufgestiegen sind (wie Polen), zeigt, daß dieselbe Gesetzmäßigkeit regiert:
Wichtig:
Je autonomer wir Schüler arbeiten lassen, desto „motivierter“ sind sie und desto weniger abhängig von Urteilen anderer (Lob und Tadel).
Zu dieser Autonomie gehört, daß sie lernen, alleine zu arbeiten (z. B. Infos zu suchen oder eine Fertigkeit zu trainieren wie Klavierspielen oder Wurzelziehen). Aber Autonomie bedeutet auch Unabhängigkeit von Erwachsenen , z. B. durch mehr Kleingruppen-Arbeiten und PAIRING (vgl. ABC-Modul, Seite 111 ff. und Praxis-Modul, Seite 77 ). Beide Strategien können mit im Klassenzimmer (oder in der Hausaufgaben-Betreuung) eingesetzt werden. Aber auch zu Hause können Eltern mit ihrer Hilfe Impulse geben, um einem „sturen“ Schulsystem entgegenzuwirken, wo dies nötig ist . *
Zwei TIPS fürs Klassenzimmer bzw. für Räume, in denen SchülerInnen am Nachmittag lernen
PRAXIS-TIP 1: Stehen erlaubt
Stühle und Tische so stellen, daß sich ein sogenanntes offenes U ergibt, notfalls in zwei Reihen, wobei die Mädchen in der vorderen Reihe sitzen (wir sehen gleich, warum). Nun können wir den Jungen anbieten, jederzeit aufzustehen und sich hinter ihren Stuhl zu stellen. Wenn die Jungen in der ersten Reihe säßen, würden sie den Schülerinnen aus Reihe zwei die Sicht verstellen; sitzen sie aber hinten, können sie jederzeit aufstehen, ohne jemanden zu stören.
Hier zeigt sich schnell, wie stark die Bewegungsneigung der Schüler tatsächlich ist; ich halte dies für einen weit besseren Gradmesser als medizinische Untersuchungen. Abgesehen davon, daß es immer Tage gibt, an denen „mehr los ist“ (z. B. weil heute der Testosteron-Spiegel besonders hoch ist). Das müssen Sie in Kauf nehmen. Das ist ja der Witz, daß man sich zwischendurch bewegen kann. Dann haben Sie als Lehrer unerhört mehr Ruhe in der Klasse.
PRAXIS-TIP 2: Gehen erlaubt
Wenn wir die SchülerInnen zwischendurch einladen, ABC-Listen anzulegen (was sie sehr gerne tun), 8) ist es wichtig, daß sie ihr Ergebnis miteinander vergleichen dürfen. Dabei sehen wir wiederum, daß Jungen sich gerne bewegen , während Mädchen gerne sitzen bleiben.
Nachdem je 4 bis 6 SchülerInnen, die in der Nähe voneinander sitzen, in der Kleingruppe ihre ABCs verglichen haben, folgt die Einladung, „Spione“ zu Nachbar-Kleingruppen zu entsenden und mit neuen Begriffen zurückzukommen. Kaum haben Sie ausgesprochen, erheben sich (bei gemischten Gruppen) die Jungen und beginnen herumzurennen. In Windeseile sammeln sie Infos von mehreren anderen Gruppen ein; dabei nehmen sie oft längere Umwege in Kauf, damit sie ein paar Schritte mehr gehen können (weitgehend unbewußt).
Wichtig:
HINWEIS: Während sie bei den anderen Kleingruppen „herumstehen“, wippen sie wieder „unruhig herum“ (was falsch informierte Eltern und Lehrkräfte vorschnell als „Zappelphilipp-Syndrom“ einschätzen könnten). Aber der Witz ist ja gerade der, daß kurze Zappel-Phasen dazwischen das Sitzen erleichtern. Außerdem können wir im Stehen und Gehen besser denken. GOETHE schwor auf sein Stehpult . Auch die alten Klöster bauten nicht umsonst Wandelgänge , damit man gehend reflektieren und diskutieren konnte. Nur in der Schule, einem Ort, an dem angeblich Denken und geistige Leistungen stattfinden sollen, haben
Weitere Kostenlose Bücher