Jungen und Maedchen - wie sie lernen
vom Blatt lesen (bzw. singen) und daß man Sie als „unnormal“ (doof, behindert) behandelt, wenn Sie Probleme damit hätten. Fänden Sie das nicht unfair? Nehmen wir einmal an, Sie hätten echte Probleme mit dieser kulturellen Hochleistung: Wie fänden Sie es, wenn man Ihnen erklärte, daß Sie anscheinend Probleme hätten, festzustellen, auf welcher der 5 Notenlinien die Note liegt und ob sie auf oder zwischen den Zeilen steht? Wären Sie nicht empört, wenn es in Wirklichkeit darum geht, daß Sie den Unterschied zwischen „f“ (zwischen den Linien) und „g“ (auf der Linie) nicht hören könnten??? Fänden Sie das nicht sehr verwirrend?
Unser Beispiel zeigt, was die Betroffenen erleben, aber um die Situation der Kinder mit Leseproblemen zu verstehen, müssen wir noch einen Faktor berücksichtigen:
Es ist ein ZEITPROBLEM !
Wir sind auf unserer Zeit-Ebene gefangen, d. h., wir halten die Zeit, die wir erleben, für die einzig mögliche. Tatsache aber ist, daß unser Organismus auf verschiedenen Zeit-Ebenen operiert, darunter auch auf Ebenen, in denen eine Hundertstelsekunde ähnlich „lang“ wird (in Relation zu noch kürzeren Zeiteinheiten) wie für uns 1 Sekunde. Unsere Sekunde unterteilen wir in Viertelsekunden, wenn wir Sekunden ohne Uhr registrieren sollen. Im Deutschen zählen wir dann „ein-und-zwan-zig, zwei-und-zwan-zig“ etc. (also 4 Silben pro Sekunde). Die Angelsachsen zählen „one-one-thou-sand, two-one-thou-sand“ etc. (aus demselben Grund). Aber die Ebene in unserem Organismus, die Töne (inkl. gesprochene Sprache) verarbeitet, teilt die Sekunde nicht in vier, sondern eher in tausend Einheiten auf. Betrachten wir also, was passiert, wenn wir ein Phonem wahrnehmen.
Anmerkung: Ein Phonem ist ein Einzelklang, das kann ein Buchstabe („b“, „p“, „t“) sein, aber auch eine Kombination, z. B. Diphthonge („ei“, „au“, „oy“) oder Zweiklänge („pf“, „st“, „sch“).
Jedes Phonem steht nun für die Note in unserem Beispiel oben. Es scheint (für unser „nacktes“ Ohr) innerhalb jener Viertelsekunde abzulaufen, manche benötigen nur eine Achtel- bzw. eine Sechzehntelsekunde. Tatsache aber ist, daß es in Wirklichkeit Einheiten von Hundertstelsekunden sind. Im Klartext: Um ein „p“ von einem „d“ zu unterscheiden, muß man die Tonteile, die innerhalb von Sekundenbruchteilen zu hören sind, einteilen. Das macht unser Unbewußtes für uns, Gott sei Dank. Wenn Sie einmal einen Satz extrem langsam abspielen, dann merken Sie, daß Sie ein einsilbiges Wort bis auf Minuten ausdehnen können, dann verschwindet es aus dem Hörbereich, kann aber noch lange weiter gemessen werden. Dies demonstrierte Ernst PÖPPEL (derzeit Ludwig-Maximilians-Universität München) einmal sehr beeindruckend in einer Fernseh-Dokumentation.
Nun gibt es Kinder, deren neuronale Reifung im Wortsinn „zurückgeblieben“ ist. Sie sind nämlich unfähig, in diesem Hunderstelsekunden-Bereich „sauber“ zu HÖREN (genauer: ihr Unbewußtes kann das nicht). Dies wurde vor einigen Jahren mit Hilfe von Computern nachgewiesen. Da auch der Computer im Bereich von Hundertstelsekunden operiert (manche Computer „denken“ sogar noch tausendmal schneller), konnten findige Wissenschaftler eine brillante Problemlöse-Technik entwickeln. Mit ihrer Hilfe können die Kids heute am Computer trainieren, und in ca. 12 Wochen haben sie die neuronale Reifung nachgeholt. Sie hören Wort-Klänge, aber zunächst extrem verlangsamt (eigentlich klingt es mehr wie ein Brummen), und erst wenn sie z. B. das langsame „b“ vom langsamen „d“ unterscheiden können, fällt eine Frucht vom Baum (oder ähnlich). Die Kinder betreiben das Programm also wie ein Computerspiel. Sie brauchen überhaupt nicht zu wissen, was sie trainieren, denn genaugenommen wird ja das Unbewuße eingewiesen .
In einem Radio-Beitrag auf einer Reise hörte ich zufällig einige Sätze zu diesem Problem. Dabei verwendete der Interviewte eine großartige Metapher, die uns hilft, das Problem besser nachzuvollziehen: Diese Kinder hören Sprache wie durch ein akustisches Nebelfeld oder wie durch einen riesigen Wattebausch . Das dürfte es vorstellbarer machen! Übrigens glaube ich, daß so mancher „Dorftrottel“ in früheren Jahren diese spezifische DYSFUNKTION im Gehirn hatte bzw. daß eine Reihe von SonderschülerInnen heute sie wahrscheinlich hat, ohne daß man sie je daraufhin untersucht hätte. Überlegen Sie: Jemand, der alles, was Leute zu
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