Jungen und Maedchen - wie sie lernen
daß die Familien besucht werden. Man muß innerhalb der unmittelbaren Familie oder der Nachbarschaft eine Person finden, deren Sprachkenntnisse ausreichend sind, um das kleine 4-Minuten Training mit dem Kind durchzuführen. Manche Leute sind erstaunt, daß man mit 4 Minuten pro Tag weiterkommen soll, aber es ist so. Genaugenommen sind es zweimal 4 Minuten: 4 Minuten im Klassenzimmer mit der Lehrerin (Coaching) und 4 Minuten zu Hause. Allerdings, betont die Bildungs-Psychologin Donna AWATARE , die maßgeblich an der Entwicklung des Programms mitgewirkt hat, müssen diese 4 Minuten Training mit einer Person, die Englisch beherrscht, wirklich jeden Tag eingehalten werden.
Wenn man neue Kinder übernimmt, können sie einige Buchstaben schon gut, manche relativ gut bzw. schlecht, andere gar nicht. Deshalb beginnt die Methode mit einer kleinen Inventur, um für jedes Kind individuell festzuhalten, welche Buchstaben bereits bekannt sind. Solche Inventuren kann man übrigens durchführen, wenn man die Kinder regelmäßig selbständig arbeiten läßt. Die vier Schritte sehen wie folgt aus:
1.
INVENTUR: Welche Buchstaben sind noch zu lernen?
2.
TAGESLISTE: Die LehrerInnen notieren einige Wörter, die zu lernende Buchstaben enthalten. Dabei werden diese Begriffe für dieses Kind maßgeschneidert. Diese werden auf einen Zettel geschrieben, mit Kugelschreiber, so daß eine Kohlepapier-Kopie bei der Lehrerin verbleibt. Dies ist nämlich einfacher, als jede Liste im Lehrerzimmer zu fotokopieren! So erhält jedes Kind seine Liste sofort.
3.
4 MINUTEN TRAINING ZU HAUSE (nachmittags). Dabei erhielt der Coach zu Hause eine Weisung: NUR POSITIVES FEEDBACK. Fehler werden überhört . . .
4.
Wenn das Kind meint, die Wörter zu können, geht es zu der Lehrerin und liest die Wörter vor. Das heißt: Das Kind entscheidet, wann es zeigt, was es kann. Nicht die Schule, nicht die Lehrkraft beschließt, wann ein Test erfolgt (Streß), sondern das Kind bestimmt diesen Zeitpunkt selbst. Jetzt erst erhält es wieder eine Liste mit Wörtern.
In kurzer Zeit können alle Kinder das ABC und können langsam zu kleinen Texten fortschreiten. Ab nun können die nächsten Techniken greifen.
Technik 3: Persönliche Schlüssel-Texte
Eine weitere Lehrerin dieser Maori-Kinder, Sylvia ASTHON-WARNER , hatte zwei wichtige Aha-Erlebnisse. Erstens war ihr aufgefallen, daß die aus England importierten Schulbücher das eher ländliche Leben der SchülerInnen überhaupt nicht spiegelte, also begann sie, Texte zu verändern. Statt eines Zuges (den keines der Kinder je gesehen hatte) ließ sie die Person mit einem Boot reisen (wesentlich realistischer, aber immer noch ein Spiegel jener den Kindern fernen Welt). Zweitens hörte sie eines Tages einen der Jungen, der besonders schlecht las, den anderen in der Pause etwas erzählen. Während sie zuhörte, beobachtete sie eine ablehnende Regung in sich („Wie ordinär!“); aber dann wurde ihr schlagartig klar: Der Junge hatte eine Menge Beifall und Geschrei für seine kleine Schilderung eingeheimst, d. h., sie lag innerhalb der kulturellen Normen dieser Gesellschaft – genaugenommen war sie selbst die Außenseiterin. Was würde passieren, fragte sie sich, wenn die Kinder Texte zu lesen bekämen, die wirklich ihr eigenes Leben betrafen, ihre eigenen Stories? Sie rannte ins Klassenzimmer, rekonstruierte die Story so gut wie möglich, und das war der Text, den jener Junge am Nachmittag vorlesen sollte. Er begann stockend wie immer, aber auf einmal leuchtete sein Gesicht, als er (wohl zum erstenmal in seinem Leben) begriff, daß diese Worte sein Leben, seine Welt, seine Reaktionen erzählte. Von jenem Tag an war er ganz wild darauf, lesen zu lernen.
Erzählung des Jungen: „. . . auf der Feier, und Onkel (Name) pißte an den Baum im Garten. Ich sah ihn, auch die anderen merkten es, und dann haben wir ihn ausgelacht. Das war ihm peinlich!“
Die TECHNIK können wir wie folgt zusammenfassen: Schauen Sie den Leuten, die lesen sollen, „aufs Maul“. Schneiden Sie mit, transkribieren Sie hinterher, und schon haben Sie faszinierendes Lese-Material!
Die Erfahrungen anderer LehrerInnen zeigten übrigens auch, daß Jungen viel abhängiger von interessantem Lese-Material sind als Mädchen. Erstens, weil Mädchen besser lesen (und wenn man lesen KANN, kann man auch langweilige Texte „meistern“, es geht ja schnell). Zweitens, weil sie eher „brav“ ihre Aufgaben „abarbeiten“, während Jungen eher rebellieren,
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