Junger, Sebastian
Situation den Rücken zu kehren.
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Der Sommer schleppt sich voran: Jeden Tag
fast vierzig Grad Celsius und dann die Taranteln, die in die Quartiere
einfallen, um der Hitze zu entkommen. Manche der Männer reagieren mit Horror
und können nur in insektengeschützten Einmannzelten schlafen, andere packen die
Spinnen mit Zangen und rösten sie über offener Flamme. Die Holzbunker in
Phoenix sind von Flöhen verseucht, und die Männer tragen Flohbänder um die
Fußknöchel. Trotzdem kratzen sie sich den ganzen Tag. l st Squad
lässt achtunddreißig Tage verstreichen, ohne zu duschen oder die Kleidung zu
wechseln, und zum Schluss sind ihre Uniformen so von Salz durchtränkt, dass
sie von allein stehen. Der Schweiß der Männer riecht streng nach Ammoniak, weil
sie schon längst ihr Körperfett verbrannt haben und jetzt das Muskelgewebe
abbauen. Hoch unter den Gipfeln streifen Wölfe heulend umher, Berglöwen
durchstöbern den KOP auf der Suche nach Fressbarem und Affenhorden versammeln
sich kreischend auf den Felsspitzen im Umkreis der Feuerstellung. Eine
Vogelart gibt Töne von sich, die wie heranzischende Granatwerfergeschosse
klingen. Die Männer nennen sie RPG birds, Granatwerfervögel,
und zucken wider besseres Wissen unwillkürlich zusammen, wenn sie ihren Ruf
hören.
Eines
Tages sitze ich im Küchenzelt und trinke Kaffee, als drei oder vier Soldaten
vom 3 rd Platoon hereinkommen. Es ist noch früh am Morgen, und sie
sehen aus, als seien sie die ganze Nacht auf den Beinen gewesen und wollten nur
noch schnell frühstücken, bevor sie sich schlafen legten. »Ich hab mir während
einer ganzen CONOP jeden Tag mindestens einmal einen runtergeholt«, sagt einer
von ihnen. Eine CONOP ist eine Mission mit einem Spezialauftrag. Ich bleibe
sitzen und bin gespannt, worauf dieses Gespräch hinausläuft.
»Das ist
noch gar nichts - ich hab mir während der Donga-Wache einen runtergeholt«,
meldet sich ein anderer.
Donga ist
eine Feindesstadt auf der anderen Seite des Tals. »Kommt immer auf die
Illuminierung an«, gibt der Squad Leader zu bedenken und meint wohl die
Mondphasen. »Da ist es manchmal so dunkel, dass du keine zwei Meter siehst. Ich
hab's im Zelt gemacht. Die anderen waren auch alle da, und hinterher hab ich
gedacht: >Mann, das ist echt kaputt.< Aber ich hab die Jungs gefragt, ob
sie mich sehen konnten, und die haben Nein gesagt. Also dachte ich ...
>Passt schon.<«
Jemand warf
die Frage auf, ob es wohl mental möglich sei, während eines Feuergefechts zu
masturbieren. Das wäre, zugegebenermaßen, der Mount Everest der Masturbation,
aber nach einhelliger Überzeugung ist es unmöglich. Ein anderer Mann erwähnt
einen wohlbekannten Bunker im KOP und ahmt die typisch schnell schüttelnde
Handbewegung nach und lässt den Kopf hin und her pendeln, als hielte er
Ausschau nach ungebetenen Zaungästen. Schließlich bemerkt jemand mich in
meiner Ecke.
»Sorry, Sir«, sagt er. »Wir sind
wie die Tiere, nur schlimmer.« Angriffe verschiedenster Art passieren beinahe
jeden Tag, von einzelnen Schüssen, die über die Köpfe der Männer pfeifen, bis
zu Feuergefechten, die am Abas Ghar anfangen und sich im Uhrzeigersinn im
gesamten Tal fortsetzen. Im Juli brät Sergeant Padilla Philly Cheesesteaks für
die Männer in der Firebase Phoenix und hat gerade gerufen: »Kommt und holt sie
euch, bevor ich dran glauben muss«, als eine RPG aufs Gelände segelt und ihm
den Arm abreißt. Pemble hilft dabei, ihn in einen Humvee zu laden, und hat noch
wochenlang Albträume, in denen Padilla ohne Arm vor ihm steht. Die Battle
Company hat die meisten Feinberührungen des Battalion, und das Battalion hat
mehr Feindberührungen als alle anderen der U.S. Army. Die hundertfünfzig Männer
der Battle Company erlebten fast ein Fünftel aller Kämpfe, in die insgesamt 70
000 Nato-Soldaten in Afghanistan verwickelt waren. Siebzig Prozent aller
Bomben, die in Afghanistan abgeworfen wurden, fielen aufs Korengal-Tal oder
seine Umgebung. Amerikanische Soldaten im Irak, die dort nie in ein
Feuergefecht geraten sind, reden davon, sich in Afghanistan einsetzen zu
lassen, um sich ihre »Combat Infantry Badges« (Kampfmedaillen) zu verdienen.
Bevor er
zur l st Squad wechselt, wird O'Byrne im Juli mit den übrigen Männern
seines M240-Teams auf der Straße über Loy Kalay festgenagelt. Sie geben einer
Fußpatrouille Deckung, die talabwärts marschiert war, als ihnen plötzlich die
Geschosse um die Ohren fliegen. Reporter glauben oft, dass
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