Junger, Sebastian
Bedenken
wegen der liberalen amerikanischen Presseberichterstattung waren, die ihn
davon abhielten, die drei Afghanen zu exekutieren.
Aber auch
das hätte sie nicht gerettet. Die Taliban sind bekannt dafür, Schafhirten als
Späher einzusetzen, und dass die Hirten auf einem Berg dieser Größe den SEALS
rein zufällig über den Weg gelaufen sein könnten, klingt nicht gerade überzeugend.
Mit anderen Worten: Die Taliban wussten sehr genau, wo sich das SEALS-Team
befand. Doch es gab weitere, ernstere Probleme. Das Funkgerät funktionierte
mangelhaft, aber die SEALS benutzten ihr Satellitentelefon nicht, um die
Mission abzubrechen oder um Verstärkung nachzusuchen. Auf den nahe gelegenen
amerikanischen Basen Asadabad oder Dschalalabad standen keine schnellen
Eingreiftruppen auf Abruf bereit, und die Informationen aus dem Inneren des
Tals waren unzureichend. Niemand wusste, dass sich im Laufe der vergangenen
achtzehn Stunden eine feindliche Streitmacht aus mehreren Hundert Kämpfern um
die vier SEALS zusammengezogen hatte, deren Funkgeräte nicht funktionierten,
die keine ballistischen Westen trugen und höchstens genug Wasser und Munition
für ein zweistündiges Gefecht mit sich führten. Es war kein fairer Kampf, und
beim US-Militär gab es so manchen, der fragte, warum die SEALS sich überhaupt
dort oben befanden.
Luttreil
und seine Männer stellten schnell fest, dass sie umzingelt und gegenüber Shahs
Männern hoffnungslos in der Unterzahl waren. Der Kampf dauerte den gesamten
Nachmittag an und verlagerte sich von den oberen Höhen in Richtung Shuryak-Tal
östlich des Korengal. Die SEALS benutzten schließlich ihr Satellitentelefon, um
das Hauptquartier zu informieren, dass sie Feindberührung hatten, und ein
Chinook-Helikopter mit acht zusätzlichen SEALS und acht anderen Elitesoldaten
machte sich vom Bagram Airfield auf und dröhnte in Richtung Kunar. Chinooks
müssen immer von Apache-Kampfhubschraubern abgeschirmt werden, die Feuerschutz
geben können, aber in diesem Fall traf der Chinook unbegleitet ein. Er wurde augenblicklich
von einem Granatwerfer beschossen und getroffen, sodass er über dem Kamm des
Abas Ghar abstürzte. Wahrscheinlich starben alle Männer, die an Bord waren,
schon beim Aufprall, aber Shahs Kämpfer sollen angeblich jedem amerikanischen
Soldaten zwei Kugeln in den Kopf geschossen haben, um sicherzugehen. Danach
durchstöberten sie die Wrackteile und marschierten mit mehreren
schallgedämpften M4s ab, mit Nachtsichthelmen, GPS-Geräten, Handgranaten und
einem Militär-Laptop. Für zukünftige Einsatzkräfte dürfte der Kampf im
Korengal dadurch nicht leichter geworden sein.
Luttrell
hatte sich inzwischen den Weg vom Berg freigeschossen und war in das Dorf
Sabray gelangt, wo ihn die Bewohner aufnahmen. Alle seine Team-Kameraden waren
gefallen, ein Mann war mit einundzwanzig Geschossen im Körper aufgefunden
worden. Die Menschen in Sabray waren nach ihrem Ehrenkodex lokhay
warkawal verpflichtet, Luttrell zu schützen. Dieses Ehrengesetz
besagt, dass jeder, der an die Tür klopft und um Hilfe bittet, betreut und
versorgt werden muss, ganz gleich, was es die Gemeinde kostet. Taliban-Kräfte
umzingelten das Dorf und drohten, jedermann darin umzubringen, aber die
Bewohner hielten so lange stand, bis amerikanische Soldaten zu Hilfe kamen.
Die
Amerikaner reagierten umgehend und geharnischt auf das Debakel am Abas Ghar.
B-52-Bomber warfen zwei ferngelenkte Bomben auf einen Wohnbereich im Dorf
Chichal ab, hoch über dem Korengal-Tal. Offenbar entkam Ahmad Shah ihnen um
wenige Minuten, aber sie töteten siebzehn Zivilisten, darunter Frauen und
Kinder. Im Lauf der nächsten zwölf Monate wurden amerikanische Feuerstellungen
immer weiter ins Pech-Tal und drei Meilen in das Korengal hinein vorgeschoben.
Das Korengal war ein Zufluchtsort, von dem aus die Aufständischen den Korridor
am Pech angreifen konnten, und das Pech-Tal bot die wichtigste Zugangsroute
nach Nuristan. Eine Basis im Korengal war also sinnvoll, aber es gab wohl auch
noch andere Beweggründe: Das Tal war wegen der neunzehn dort gefallenen
Elitesoldaten von enormer symbolischer Bedeutung, und manche Soldaten
argwöhnten, das US-Militär wolle mit seiner Anwesenheit im Tal die
Einheimischen für das bestrafen, was am Abas Ghar geschehen war. Für beide
Seiten entwickelte der Kampf um das Korengal eine ganz eigene Logik, die immer
mehr und mehr Ressourcen und Leben kostete, bis sich weder die einen noch die
anderen leisten konnten, der
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