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Junger, Sebastian

Junger, Sebastian

Titel: Junger, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: War
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Als wir eintreffen, steht Rougle auf einem Bunker und
späht nach Osten zum Abas Ghar.
    »Auf
allem, was Sie sehen«, sagt er zu mir, »bin ich schon herumgelaufen.«
     
    -6-
     
    Morgengrauen am KOP: Ein letzter Planet wie ein
Stecknadelkopf am Himmel, Krähen im Aufwind über dem Tal. Die Sonne schickt
sich an, von jenseits desAbas Ghar den Tag anbrechen zu lassen. Ich sitze auf
dem kaputten Bürostuhl außerhalb der Hütte und harre der Dinge, die da kommen
sollen. Kearney hat Standto für »Zero
Hundred Hours«, also null Uhr angeordnet - 4 Uhr 30 Ortszeit -,
weil es Hinweise darauf gibt, dass der Feind den KOP angreifen und versuchen
könnte, eine Bresche in den Drahtverhau zu schlagen. Die Männer schlurfen umher
und kramen nach ihren Waffen. Standto bedeutet, dass die Leute sich anziehen
und ihre Ausrüstung anlegen, sich aber wieder schlafen legen dürfen, wenn kein
Angriff erfolgt. Die Männer schlafen, so lange sie können, so oft sich ihnen
die Möglichkeit bietet und weitaus mehr, als der menschliche Körper
tatsächlich an Schlaf braucht. »Wenn du zwölf Stunden am Tag schläfst, dauert
der Einsatz nur sieben Monate«, erläuterte ein Soldat.
    Der Morgen
schreitet voran, und es kommt kein Angriff. Ich gehe hinauf zum Operations
Center, um mit Kearney zu sprechen, der noch nicht ganz wach an seinem
Schreibtisch sitzt. Der 3 rd Platoon soll in ein paar Tagen zum Abas
Ghar aufbrechen, und Tim und ich werden dabei sein. (Jones: »Ich persönlich
würde denen nicht mal in einen Supermarkt folgen.«) Am Nachmittag schießt ein
Heckenschütze vom Kamm über Restrepo in den KOR. Es ist zwar nicht die Attacke,
die man erwartet hatte, aber es reicht, um die Aufmerksamkeit aller zu wecken.
Wenn die Männer sich um die Basis bewegen, sprinten sie durch die offenen
Bereiche, bis - ka-SHAAH - ein weiteres Geschoss
vorbeizischt und sie sich schnell hinter einem Hesco verschanzen. (Soldaten
verbringen recht viel Zeit damit, den Klang von Geschützfeuer verbal
nachzuahmen, und »ka-Shaah« war das Wort, auf das sich der 2 nd Platoon anscheinend geeinigt hatte.) Ich sitze auf meinem kaputten Bürostuhl
vor der Hütte in recht guter Deckung und sehe zu, wie Tim sich zu den
Burn-Shitters durchschlägt. Er läuft zu einem Baum, lauert dort einen
Augenblick und rennt dann zum nächsten Baum. Wüsste man nichts von dem
Heckenschützen, könnte man denken, er ahme mit einem Sketch einen in der
Mittagshitze völlig durchgeknallten Engländer nach.
    Heckenschützen
können sogar die Stille zur Nervenbelastung machen, und daher ist die Wirkung,
die sie erreichen, gemessen an den Schüssen, die sie abfeuern,
unverhältnismäßig groß. Die Mörser des KOP antworten, laute Explosionen, von
denen die Basis erschüttert wird und die von den Berggipfeln widerhallen. Sie
könnten den Schützen getötet haben, aber das möchte ich bezweifeln, und
letztlich ist es auch egal: Es handelt sich nur um einen Mann mit einem Gewehr
und Munition im Wert von zehn Dollar. Er muss noch nicht
einmal jemanden treffen, um sich als effektiv zu erweisen: Hubschrauber fliegen
nicht mehr ins Tal, und dreißig oder vierzig Männer verbringen den Nachmittag
hinter Sandsäcken und versuchen herauszufinden, ob sie von einem russischen
Dragunow oder einem alten Enfield .308 beschossen werden. Einmal befand ich
mich im Operations Center, als einzelne Schüsse zu hören waren. First Sergeant
Caldwell eilte zur Tür, um sich darum zu kümmern. Ich fragte ihn, was los sei.
»Irgend so ein Blödmann, der uns die Zeit stiehlt«, sagte er.
    Der
Blödmann war bestimmt ein einheimischer Teenager, der von einer der
aufständischen Gruppen dafür bezahlt wurde, ein Magazin Munition auf den KOP
abzufeuern. Fünf Dollar am Tag waren zurzeit der gängige Lohn. Der Junge konnte
auf die Basis feuern, bis mit Mörsern reagiert wurde, und dann von der
Rückseite des Bergkamms verschwinden und in zwanzig Minuten zu Hause sein.
Mobilität war bei Guerillakämpfern schon immer die Vorgehensweise der Wahl
gewesen, weil sie keinen Zugang zu schweren Waffen haben, durch die sie in
ihrer Beweglichkeit behindert wären. Einzig und allein die Tatsache, dass
Netzwerke hoch mobiler Amateure eine professionelle Armee durcheinanderbringen
- sogar besiegen - können, hat Imperien daran gehindert, den Lauf der
Geschichte uneingeschränkt zu bestimmen. Ob das etwas Gutes ist oder nicht,
kommt darauf an, von welchen Amateuren man spricht - oder welchen Imperien -,
aber es bedeutet, dass man

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