Junger, Sebastian
das Resultat eines Krieges nicht vorhersagen kann,
indem man sich allein die Zahlen ansieht.
Für jeden
technischen Vorteil, den die Amerikaner besaßen, schienen die Taliban über eine
Entsprechung oder ein Gegenmittel zu verfügen. Apache-Hubschrauber sind mit
Wärmebildgeräten ausgerüstet, die Körperwärme auf dem Berg registrieren, und
daher verschwinden die Taliban, indem sie sich unter einer Decke auf einem
warmen Fels verkriechen. Die Amerikaner benutzen unbemannte Drohnen, um den
Feind genau zu orten, aber die Taliban schaffen dasselbe, indem sie die Krähenschwärme
beobachten, die auf der Suche nach Futter über den amerikanischen Soldaten
kreisen. Die Amerikaner verfügen über so gut wie unbegrenzte Feuerkraft, und
daher schicken die Taliban nur einen einzigen Mann, der es mit einer ganzen
Feuerstellung aufnimmt. Ob er dabei sein Leben lässt oder nicht, es gelingt ihm
jedenfalls, die feindliche Kriegsmaschinerie für einen weiteren Tag
aufzuhalten. »Es ist alles im Kriege sehr einfach, aber das Einfachste ist
schwierig«, schrieb der Militärtheoretiker Carl von Clausewitz in den 1820er
Jahren. »Diese Schwierigkeiten häufen sich und bringen am Ende eine Friktion hervor.«
Diese
Friktion ist eben das, worauf der Feind im Tal abzielt, denn in mancher
Beziehung wirkt sie besser als das Töten. Drei Tage später halten wir uns im
Reparaturschuppen auf und warten darauf, dass Anschlussversorgung vom Pech
kommt, zwei Chinooks, die alle vier Tage langsam durch den Nordosten fliegen,
Männer einsammeln und Nahrung und Munition abliefern. Tim und ich verlassen das
Tal, und der Pech ist unser Weg nach draußen. Die Männer sind nervös, weil der
Heckenschütze schon den ganzen Morgen aktiv ist, und als der erste Chinook
einfliegt, wird er sofort von der anderen Seite des Tals beschossen. Ein
Geschoss fliegt durch den Ärmel des Bordschützen, ohne seine Haut zu verletzen,
und tritt durch den Treibstoff tank aus. Wie es heißt, war der Mann auf seinem
ersten Kampfeinsatz. Nach einer Weile kommt ein Black Hawk herein und setzt
den Battalion Commander, Colonel Ostlund, ab, der flankiert von diversen
Offizieren und zwei Journalisten von Al Dschasira in himmelblauen ballistischen
Westen über den Landeplatz schreitet. Einer der Offiziere sieht uns hinter den
Hescos hocken und schließt daraus, dass etwas im Busch sein muss. »Haben wir
hier eine Situation?«, übertönt er den Rotorenlärm.
Wieder
einmal haben es ein, zwei Burschen mit Gewehren geschafft, eine ganze
Infanteriekompanie lahmzulegen. Ostlund und sein Stab besteigen wieder den
Black Hawk und fliegen übers Tal zur Firebase Vegas. Ich stehe neben einem
hochgewachsenen Marine mit Namen Cannon, der davon spricht, dass der Krieg
hier weitaus intensiver sei, als die meisten Menschen begreifen. Während wir
reden, wird plötzlich wieder geschossen, ein hämmerndes Stakkato, das ich jetzt
als das .50 cal aus Vegas erkenne. Cannon hat ein Funkgerät dabei und bekommt
eine Verbindung im Netz der Company, die ich nicht ganz verstehe.
»Vegas ist
in einem TIC«, sagt er.
Die Mörser
feuern und ein A-10 kippt in den Sinkflug, um den Abas Ghar mit seiner
automatischen Bordkanone zu beharken. Eine Minuten später quäkt Cannons
Funkgerät abermals. »Ein Verwundeter in Vegas«, wiederholt er für mich und
dann: »Der Platoon Sergeant wurde in den Hals geschossen. Er atmet nicht mehr.«
Hunter,
der in unserer Nähe steht, hört das und geht davon. Er ist ein Team Leader im l st Platoon und kennt den Sergeant gut. Er heißt Matt Blaskowski, und er hat
bereits einen Silver Star dafür verliehen bekommen, dass er während eines sechsstündigen
Feuergefechts in Zabul einen verwundeten Kameraden in Sicherheit gebracht hat.
Eine Weile später bekommt Cannon wieder eine aktuelle Funkmeldung.
»Er ist im
MEDEVAC-Vogel gestorben.«
Keiner von
uns konnte es wissen, natürlich nicht, aber Cannon selbst sollte in zwei
Wochen ebenfalls tot sein, bei einem Hinterhalt außerhalb von Aliabad durch die
Brust geschossen. Ich war bereits in New York, als ich davon hörte, und ich
weiß, es ist eine törichte Bemerkung und banal dazu, aber irgendwie wurde mir
da klar, wie kurz der Weg von den Lebenden zu den Toten ist: Eines Tages hörst
du von einem Mann, der draußen in Vegas gefallen ist, und am nächsten Tag bist
du der, von dem jemand anders hört.
Schließlich kommen die Apaches und
sichern die oberen Bergkämme. Zwei Tage später stehe ich auf dem Flughafen von
Delhi
Weitere Kostenlose Bücher