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Junger, Sebastian

Junger, Sebastian

Titel: Junger, Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: War
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Rumpf eines riesigen grauen Schlachtschiffs. Deckung gibt es keine
außer fünfzehn Zentimeter gefrorenen Morast, wenn man sich in die Reifenspuren
auf der Straße quetscht.
    Im Dorf
ist es jetzt still geworden bis auf einen Hund, dem sich kurz darauf ein
zweiter anschließt, um unser Kommen mit wütendem Gebell zu begrüßen. Wir
klettern den letzten Hang hinunter in das Dorf und finden jede Tür geschlossen
und jedes Fenster fest verriegelt vor. Ich folge O'Byrne an den Dorfrand, wo er
hinter einigen Bäumen Aufstellung nimmt und den Bergkamm südlich von uns
beobachtet. Von dort wird es kommen, wenn es denn überhaupt kommt. Eine Familie
drängt sich auf der hinteren Veranda ihres Hauses zusammen. Die Kinder weinen
und die Frau versucht, alle nach drinnen zu zerren. Ein Huhn wandert pickend
umher. Ein Mörser wummert in der Ferne. Oben im Tal scheint es Kampfhandlungen
zu geben. O'Byrne erblickt einen alten Mann, der durchs untere Dorf eilt und
wohl hofft, nicht von uns gesehen zu werden. Aber O'Byrne ruft, und der Alte
blickt auf, nickt und kommt auf uns zu. Er benutzt eine Axt als Gehstock und
bewegt sich unfassbar schnell über die steilen Abhänge. Der Alte muss
mindestens sechzig sein, und kurz nachdem O'Byrne sich bemerkbar gemacht hat,
steht er vor uns und ist nicht einmal außer Atem. Ein afghanischer Soldat
nimmt ihm die Axt ab. Durch einen Dolmetscher erklärt der Mann, er sei aus Yaka
Chine zu Besuch, weil sein Sohn eine Beinwunde habe. Gillespie trägt ihm auf,
uns hinzuführen, wir machen uns auf den Weg durchs Dorf, wobei wir uns alle
Mühe geben, mit ihm Schritt zu halten.
    Der Sohn
ist ungefähr zehn und wirkt nicht eingeschüchtert, als Doc Old ihm den Verband
vom Bein löst. Old hat vorn auf seinem Munitionsgürtel mit Filzstift »Ell fuck
your face« geschrieben, aber was immer das bedeuten soll, es scheint seine
Fürsorge für den Jungen nicht zu beeinträchtigen. Er ist ins Schienbein
geschossen worden, aber die Wunde ist bereits Monate alt und gelatineartig und
braun geworden. Ich kann sein weißes Schienbein erkennen und vorne ein kleines
Loch, wo das Geschoss eingetreten ist. »Sieht nach unseren aus«, sagt Old und
will damit sagen, das Loch sei so klein, dass es wahrscheinlich von einer
amerikanischen M4 stammt. AK-Geschosse sind viel größer und richten erheblich
mehr Schaden an. Der Vater behauptet, der Junge habe sich verletzt, als er
hingefallen sei, aber das ist zweifellos absurd, und der Junge sieht inzwischen
aus, als würde er lieber sein Bein verlieren als hier noch länger inmitten all
dieser Soldaten stehen. Doc Old kniet sich vor ihn, um einen neuen Verband
anzulegen, und als er damit fertig ist, sagt er, der Junge solle sich im KOP
untersuchen lassen. Für mich sieht es so aus, als werde er sein Bein am Knie
verlieren. Der alte Mann schaut sich entschuldigend um und schüttelt den Kopf.
    »Wir
wollen doch seinem Sohn nur helfen«, sagt Gillespie dem Dolmetscher. »Er soll
mir einen guten Grund angeben, warum er nicht zum KOP mitkommen will.«
    Der
Dolmetscher stellt dem Mann eine lange Frage und bekommt darauf eine lange
Antwort. »Er ist jetzt müde, und es ist Zeit zu beten.«
    »Wie lange
dauert das Beten?«, fragte Gillespie. »Denn wenn er unbedingt beten muss, kann
er jetzt gleich beten. Wir meinen es nur gut. Ich meine ... einfach nur, weil
du müde bist... es ist doch dein Sohn.«
    Im Rückblick
ergab das Widerstreben des alten Mannes absolut Sinn - er wusste, was
geschehen würde, und wollte nicht in unserer Nähe sein, wenn es geschah -, aber
schließlich überredete Gillespie ihn, mit uns zu kommen. Der alte Mann
schlüpft in sein Haus und kommt mit der Decke heraus, die er über der Schulter
verknotet, um seinen Sohn hineinzulegen. Er reiht sich bei uns ein, und wir
verlassen das Dorf, wie wir gekommen sind, schnell und im Gänsemarsch. Der
erste Feuerstoß aus AKs kommt, noch bevor die Männer die Straße erreicht
haben. Ich gehe im Graudüstern hinter Gillespie und hören ihn sagen: »Fuck!«Wir
pressen uns an eine Steinmauer. Es folgen drei oder vier Detonationen, und ich
fühle, wie sich mir der Magen umdreht. Das hier ist meine erste Feindberührung,
seit der Humvee in die Luft flog, und irgendwie hat mich aller Kampfgeist
verlassen. Ich hab an nichts von alledem hier auch nur das geringste Interesse.
Ich kauere mich an die Mauer und beobachte, wie die Männer, mit denen ich hier
bin, herauszufinden versuchen, was in dieser Lage zu tun ist.
    »Hat
jemand

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