Junger, Sebastian
ein MG-Feuerstoß
in die Wand vor ihm, und Steinsplitter rissen ihm das Gesicht auf. Er ließ sich
zu Boden sinken, um die Fassung wiederzugewinnen. Dann setzte er sich auf und
geriet gleich in den nächsten Feuerstoß. Ein Geschoss bohrte sich direkt in
seinen Helm und riss ihm den Kopf mit solcher Wucht zurück, dass er Stichter im
Gesicht traf und ihm fast die Nase gebrochen hätte. Stichter schrie nach einem
Sanitäter und ein anderer rief, dass Steiner in den Kopf getroffen war, und
Steiner sank in sich zusammen. Er hatte ein Loch im Helm, und ihm lief das Blut
übers Gesicht.
Steiner
lag da, konnte weder etwas sehen noch sich bewegen, und fragte sich, ob das,
was er hörte, wahr sein konnte. Hatte ihn ein Kopfschuss erwischt? War er tot?
Wie sollte er es feststellen? Die Tatsache, dass er die Männer um sich herum
hören konnte, müsste doch Bedeutung haben. Nach einer Weile konnte er wieder
etwas sehen. Er setzte sich auf und sah sich um. Das Geschoss hatte den Helm
bis zur innersten Schicht durchschlagen und war dann in eine andere Richtung
getrudelt, gewiss auf der Suche nach jemand anderem, den es töten konnte. (Das
Blut in seinem Gesicht stammte, wie sich herausstellte, von den Schnittwunden
durch die Steinsplitter, die ihn getroffen hatten.) Die anderen Männer starrten
Steiner schockiert an - die meisten glaubten, er sei tot -, aber schossen doch
weiter, weil sie noch immer unter schwerem Beschuss standen und der Einsatz von
Feuerkraft in dieser Situation die einzige Gegenwehr war. Steiner war benommen
und saß einfach mit einem Loch im Helm da und grinste. Dann stand er auf und
lachte los. Er müsste eigentlich tot sein, aber er war es nicht, und das fand
er unglaublich lustig. »Verdammt noch mal runter mit dir und Feuer erwidern!«,
schrie ihn jemand an. Steiner lachte weiter. Andere fingen auch zu lachen an.
Kurz darauf brüllte jedermann im Platoon hinter der Steinmauer vor Lachen und
pumpte sündhafte Mengen von Munition rundherum in die Berghänge.
»Allen
ging's darum, ihre wahren Gefühle zu überspielen«, gestand mir Mac später.
Drei
Humvees kamen vom KOP angefahren, um Steiner abzuholen, aber er weigerte sich
mitzufahren - er wollte bei seiner Squad bleiben. Als der Platoon schließlich
die Straße zur Firebase Phoenix hinaufrannte, kam es Steiner vor, als schwebe
er mühelos vor seiner Gruppe, obwohl er doch dreißig Kilo Munition und eine
zehn Kilo schwere SAW mit sich trug. Es war eines der tollsten Highs, die er je
erlebt hatte. Es dauerte einen Tag an oder zwei, und dann ging er unter wie ein
Stein.
»Man hat
auf einmal diese Geistesblitze, was alles hätte passieren können«, sagte
Steiner. »Ich lag im Bett, und diese Grübeleien erwischten mich. >Scheiße,
ich wäre fast gestorben.< Wie wäre mein Begräbnis wohl abgelaufen? Was
hätten die Jungs gesagt?Wer mich wohl hinter der Mauer rausgezogen hätte?«
Steiner erlebte etwas, das die Militärpsychologen als »anxious rumination«,
angstvoll nervöses Grübeln bezeichnen. Manche Menschen sind Grübler und andere
nicht, und diejenigen, die es sind, können einen schlimmen Vorfall zum
lebenslangen Trauma machen. »Du darfst dir nicht erlauben, darüber
nachzudenken, wie nahe die Scheiße dir kommt«, erklärte mir O'Byrne später.
»Bis auf Zentimeter. Alles ist so dicht
dran. Es gibt aber Orte, an die ich meine Gedanken nicht heranlasse. Steiner
hat zu mir gesagt: >Was, wenn das Geschoss -<
Da hab ich
ihn sofort abgeblockt, hab ihn nicht mal zu Ende reden lassen. Ich hab gesagt:
>Ist es aber nicht. Ist es
nicht.<«
In mancher
Hinsicht setzte der Vorfall O'Byrne mehr zu als Steiner selbst. O'Byrne dachte,
er könne seine Männer beschützen, aber hinter der Steinmauer in Aliabad war
ihm aufgegangen, dass sich alles seiner Kontrolle entzog. »Ich hatte meinen
Jungs versprochen, dass keiner von ihnen sterben würde«, sagte er. »Dass sie alle
nach Hause zurückkehren würden, und dass ich vor ihnen sterben würde. Keine
Angst: Ihr kehrt zurück nach Hause zu eurem Mädel, zu eurer Mom oder eurem Dad.
Als Steiner dann getroffen wurde, hab ich gemerkt, dass es nicht an mir war,
sie davor zu bewahren, verwundet zu werden, und ich weiß noch, dass ich
zitternd da saß. Etwas Schlimmeres kann es gar nicht geben, als für das Leben
eines anderen verantwortlich zu sein. Und wenn man ihn dann verliert? Ich
konnte mir das gar nicht ausmalen. Ich konnte mir es an dem Tag nicht
ausmalen.«
Eigentlich
war es gar nicht die typische Zeit
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