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Jussifs Gesichter

Jussifs Gesichter

Titel: Jussifs Gesichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Najem Wali
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und kein anderes zu beharren.
    War Sarab so enttäuscht, weil er ihr erst später sagte, dass sie das Mädchen mit den grünen Augen, den blonden Zöpfen und dem blauen T-Shirt wäre? Hatte sie das Gefühl, er ersticke sie, wenn sie sich in Erinnerung rief, wie er im Garten des British Council auf sie zukam, um seine Hoffnungslosigkeit zu bekämpfen?Er zweifelte nicht mehr daran, dass sie glücklich war, als sie über die ersten Sekunden ihrer Begegnung sprach. Vielleicht verbarg sie die Bitterkeit, die sie ihm eines Tages offenbaren sollte. Aber schon andere hatten ihm von ihrer Bitterkeit berichtet, und sie drückte sich auch auf ihrem Gesicht aus. Spiegeln nicht auch die Gesichter Geschichten wider, die sich selbst erzählen? Und was war mit ihm? An welche Bilder erinnerte er sich oder an welche Bilder wollte er sich unbedingt erinnern?
    Genau in dem Moment, als er versuchte, den Film mit den Bildern abzuspulen, wurde ihm wieder bewusst, dass er ins Blickfeld seiner Verfolger geraten war. Wie am Telefon und später im Traum angekündigt, hatten sie ihm mit Ermordung gedroht. Vor seinem inneren Auge zog nicht ein einzelnes Bild vorüber – wie bei Sarab. Im Gegenteil versuchte er sich an viele Bilder zu erinnern, um dasjenige ausfindig zu machen, das mit dem Besitzer der Stimme zusammenpasste. Er wollte einfach nicht wahrhaben, dass es das Bild seines Bruders sein sollte. Woher kam diese Lähmung, die ihn so oft quälte, woher dieser Schmerz, der einen Berg von Enttäuschungen mit sich brachte und ihn aufs Äußerste belastete?
    Alle Bilder verschwanden, nur ein einziges Bild blieb übrig – wie bei Sarab: das Bild des Mädchens, dem er eigenhändig den Todeskuchen reichte. Auch an das Bild seines Bruders, der auf ihn zeigte und rief: »Er ist der Mörder! Haltet ihn!«, wollte er sich nicht erinnern. Obwohl er wusste, dass Junis die Nägel in den Kuchen gefüllt hatte, wollte er nicht glauben, dass sein Bruder ein Mörder war. Von Kindheit an war dies ein Spiel für ihn gewesen. Sobald er das Bild seines Bruders in dem Fotoalbum vernichtet hatte, hörte dieser auf, ein Mörder zu sein. Er dachte ja auch, dass er durch eine bloße Namensänderung den Mordvorwurf vergessen machen konnte. Er wusste, dass sich von jenem Moment an einer von beiden verstecken musste. Ergab dies zwar nie offen zu. Aber alles, was er in dieser Zeit tat, alle Rollen, die er unter dem Namen seines Bruders spielte, liefen darauf hinaus: Einer von beiden musste sich verstecken. Er überzeugte nicht nur sich selbst davon, sondern auch die Menschen, die ihn umgaben, allen voran Sarab. Diese dachte damals noch, dass er Harun Wali sei, nicht Jussif Mani, und sie erfuhr erst später die Wahrheit. Nach und nach lernte sie, unter dem alten Namen mit ihm zusammenzuleben, und sie begannen von neuem.
    Wie gern hätte er sie jetzt geweckt und um ihre Hilfe gebeten. Sie war die Einzige, die seine Gedanken verscheuchen oder bestärken konnte. Sie war die Winzige, die ihm Sauerstoff geben konnte, den Odem des Lebens. Sie war aber auch imstande, ihm die Luft zu nehmen, ihn zu erdrosseln, ihn für immer aus dem Haus zu jagen, in dem er wohnte. Wie sehr ersehnte er ein offenes Wort von ihr, und wäre es ihr letztes, um ihn damit zu beruhigen, um ihm zu versichern, dass er wirklich Jussif Mani war, der mit ihr zusammenlebte, ein Mann mit sauberen Händen – anders als die Ärzte und der Besitzer der Stimme es dachten! Er war kein Mörder! Oh wie gern hätte er es gehabt, wenn sie ihn in die Arme genommen und ihm zugeflüstert hätte: »Ich liebe dich, weil du Jussif Mani bist!« Dabei hätte sie ihm die Tränen getrocknet, die ihm zum tausendsten Mal über die Wangen rannen, und hinzugefügt: »Ich hasse Harun und Junis und alle diese Namen, die gar nicht zu dir passen!«
    Und er hätte geantwortet: »Sarab, ich liebe dich nicht nur. Du bist der Faden, an dem die letzte Hoffnung meines Lebens hängt.« Er ertastete seinen zitternden Puls: hundert Schläge pro Minute. Er stand auf und ging mit der Kerze in der Hand ins Schlafzimmer zurück. Er stellte die Kerze vor dem Kleiderschrank auf den Boden, öffnete den Schrank und wechselte seine Kleidung. Dann holte er einen kleinen Koffer hervor, in dem er Dinge aufbewahrte, die er bis dahin völlig vergessenhatte. Es war ein kleiner grauer Koffer, den er nicht benutzt hatte, seit er zum Militärdienst eingezogen worden war, seit fast vierundzwanzig Jahren also. Er hatte ihn während seines Militärdienstes in

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