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Jussifs Gesichter

Jussifs Gesichter

Titel: Jussifs Gesichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Najem Wali
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mal gut zu, Jude. Wir alle wollen dieses Mädchen ficken.‹ Stell dir die Szene vor. Wir alle wollen sie vögeln, einer nach dem anderen, jeder Einzelne der dort herumsitzenden Typen, macht fünf Personen. Ohne einen Bestimmten anzublicken, wiederhole ich: ›Wir alle wollen dieses Mädchenficken: Du und du und du und du, einer nach dem anderen.‹ Doch während ich spreche, zerrt der Erdölingenieur sie mit sich ins Nebenzimmer, um sie ein fünftes oder sechstes Mal zu besteigen. Ihr Gewimmer ist ihm ganz gleichgültig. Plötzlich stürzt sie heraus, wankt in die Mitte des Salons, schlägt mit der Hand auf den Tisch und schreit: ›Rifqa, Rahma, Schafaqa, Ra’fa – Milde, Erbarmen, Gnade, Mitleid! Ich möchte mich ausruhen, warum bin immer nur ich dran? Habt ihr denn keine Milde, kein Erbarmen, keine Gnade, kein Mitleid?‹ Der Erdölingenieur steht an der Tür und brüllt: ›Komm her, du Nutte, ich bin noch nicht fertig.‹ Da bricht das Mädchen zusammen und sinkt zu Boden. Sie weint und schaut uns an, als suche sie nach jemandem, der Mitleid hat. Sie schaut mich an, den Fremden, und den schwarzen Dichter. Aber der schwarze Dichter lacht schallend, provozierend. Ich erinnere mich, dass ich dem Mädchen zuschrie, sie solle sagen: ›Ich bin Dichterin, ich bin weiß, ich habe dieselben Rechte wie dieser Sultan hier!‹ Vielleicht war dies der Anfang. Ich erinnere mich nicht mehr genau, was geschah, wer auf wen losging, wer wen umbrachte. Ich glaube, der Erdölingenieur packte das Mädchen und zerrte es an seinen Haaren zum Bett. Oder war es der schwarze Dichter, der das Mädchen noch im Salon zu Boden warf und seine Schenkel brutal auseinanderspreizte? Oder war ich es, der die beiden mit gezücktem Messer angriff? Oder stürzten sich die anderen Mädchen mit ihrer Eisenausrüstung auf die Männer? Ich habe dunkel vor Augen, dass viel Blut floss und meine Kleidung besudelte. Den ganzen Ablauf der Geschehnisse hielt die Polizei am folgenden Tag in ihrem Bericht fest und stempelte ihn unter dem Titel »Betrunkenenprotokoll« ab. Die Trümmer sahen schließlich so aus: Mord an zwei Mädchen, Tod des Erdölingenieurs, Verwundung zweier Dichter, straflose Freilassung des Dichters, der mich für seinen Freund hielt. Der Mordverdacht blieb allein an mir hängen. Ich war mir sicher, dass ich dasMädchen nicht erstochen hatte. Aber wie sollte ich sie überzeugen? Ich kam erst wieder zur Besinnung, als die Polizei den Salon betrat und mich mit dem Messer in der Hand auf der Brust des Mädchens knien sah. Sie nahmen mich auf der Stelle fest und überantworteten mich den örtlichen Behörden.«
    »Auch ich habe das Mädchen mit den grünen Augen, den blonden Zöpfen und dem blauen T-Shirt nicht ermordet. Auch ich habe niemanden umgebracht, mein Freund«, flüsterte Jussif. Er war sicher, sein Freund, Josef Karmali oder Josef K., würde ihn verstehen.
    Er ahnte, was Josef Karmali antworten würde, denn es fiel ihm der Satz ein, den dieser stets zu solchen Gelegenheiten verwendete.
    »Die Tugend ist eine Strafe, wie unser Bruder Nietzsche sagte. Auch ihn hat man ins Krankenhaus oder ins Irrenhaus, die ›Nervenheilanstalt‹, gesteckt, genau wie dich.«
    »Ich war nicht im Krankenhaus«, widersetzte sich Jussif. Ich habe nur die Haustür zugemacht und jahrelang das Haus nicht mehr verlassen. Erinnerst du dich an deinen großen Wunsch? Ich habe ihn verwirklicht und bin im Haus geblieben, um einen Roman zu schreiben, ›Auf der Suche nach andauernder Zerstörung‹.«
    Dann fuhr er fort, als spräche er wie Josef Karmali oder Josef K., aber mit zitternder und brüchiger Stimme: »Es ist einerlei. Gefängnis oder Krankenhaus. Am Ende bleibt nur das Haus. Als würden wir zu einer langen Reise aufbrechen, um jeder auf seine Weise ans Ziel zu gelangen.«
    Eine Reise? Welch einen Klang trug dieses Wort, noch dazu wenn es aus dem Munde von Josef Karmali kam! Doch konnte man auf sein Leben den Begriff »Reise« anwenden? Was für eine Reise sollte das sein? Jussif konnte sich vorstellen, wie sein Freund reagieren würde, wenn er ihm diesen Gedanken anvertraute. »Du hast eine Reise in das Innere deiner Seele unternommen« –ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass Jussif schon am Antritt zu dieser Reise gescheitert war. Was ist das für eine Reise, bei der der Mensch sich anderen Menschen ausliefert und diese mit ihm machen, was sie wollen? Ob nun in Zeiten des Krieges oder des Friedens – wenn es in diesem Land der Siegreichen und

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