Jussifs Gesichter
Wochen später sein alter Name »Jussif Mani« in die Augen fiel – der Name, von dem wir annehmen können, dass es derzeit der seine ist. Er stand als Name des Herausgebers auf der ersten Seite einer Tageszeitung. Von diesem Moment an schlief Jussif nicht mehr gut. Immer häufiger schreckte er nachts auf; der Schweiß lief ihm über die Stirn, Fieber schüttelte seinen Körper. Schließlich meinte er, sogar Sarab, seine Bettgenossin, müsste diese Hitze spüren. Und oft stellte er sich vor, wie er sie mit einem plötzlichen Schrei aus dem Tiefschlaf riss. Endlich sah er ein, dass er sich nicht weiterhin so benehmen konnte, als sei nichts geschehen. Er konnte nicht mehr so tun, als handle es sich bei dem Anruf um einen Irrtum, den er ignorieren könne. Es war einfach kein unglücklicher Zufall, wie sie Tag für Tag überall auf der Welt vorkommen, eine bloße Namensverwandtschaft! In der nächsten Ausgabe derselben Zeitung las er ein Interview mit einer Person, die anonym bleiben wollte, über die Jahre der Gewalt und der Folter, der Entbehrung, des Verrats und Betrugs. Über den »Henker« Junis Mani, der seit seiner Kindheit ein Mörder war: »Stellen Sie sich das vor! Mit einem Kuchen, in den er winzige Nägel gesteckt hatte, tötete er das kleine Mädchen, das den Kuchen aß. Sie war in seinen kleinen Bruder verliebt, nicht in ihn. Er aber lenkte den Verdacht auf seinen Bruder, Jussif.«
Also änderte er seine Gewohnheiten, vor allem, weil er nicht der einzige war, der die Tageszeitung las. Seine Arbeitskollegen machten schon ihre Bemerkungen und fragten, ob er derjenige sei, von dem die Zeitungen berichteten, und ob er zwei Arbeitsstellen gehabt hätte. Die andere Tätigkeit hatte er jahrelang vor ihnen verborgen. Er konnte nicht so weitermachen wie bisher, er verstand es ja selbst nicht mehr. Je mehr er sich über das plötzliche Auftauchen seines alten Namenswunderte, desto nervöser wurde er. Ganz offensichtlich handelte es sich weder um einen Scherz noch um eine Intrige. Also würde es ihm schwerfallen, sich von jetzt an zu benehmen, als sei er auch als Träger dieses Namens ein Niemand, genau wie zuvor.
Es war lange her, seit er diesen Namen zum letzten Mal gehört hatte. Seine Mutter hatte ihm damals erzählt, dass sie Besuch von einer Person bekommen habe, die sie über den Tod seines Bruders informiert und ihr geraten hätte, diese Neuigkeit geheim zu halten. Aber dieser Person schenkte seine Mutter ohnehin keinen Glauben. Und auch Jussif glaubte nicht daran. Er war überzeugt, dass sein Bruder das Land verlassen hatte. Wenn er nicht vor ein paar Tagen zufällig in der Zeitung über seinen Namen gestolpert wäre, hätte er keinen Gedanken mehr an ihn verschwendet und die ganze Geschichte wäre nicht von neuem aufgerollt worden. Es war schwierig, sich mit der chaotischen Situation zu befassen, dass es noch eine andere Person gab, die einen Jussif in ihrem Innern barg. Er wollte nicht glauben, dass sein Bruder immer noch am Leben war und weiterhin seinen Namen, seinen alten Namen »Jussif« trug! Er wollte diesen Namen nicht aufgeben, er wollte nicht, dass die alte Geschichte wieder in Gang kam, wie damals, als es für einen von ihnen keinen Platz mehr gab. Seit dem Tod des kleinen Mädchens mit den grünen Augen, den blonden Zöpfen und dem blauen T-Shirt musste sich einer der beiden verstecken.
Da sich Jussif in den letzten Jahren daran gewöhnt hatte, keinen Schritt zu tun, ohne vorher alles sorgfältig abzuwägen, wollte er die Sache auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Es würde eine vorteilhafte Wirkung haben, den Fall ein für alle Mal beizulegen und diese ungeheure Last abzuwerfen, die ihn seit zwölf Jahren plagte. Warum antwortete er nicht einfach dem Anrufer: »Sie haben recht! Die Zeit ist gekommen,der Mörder muss die Schuld an seinen Opfern begleichen. Sie wissen doch, dass ich nicht Junis bin. Jeder von uns muss zu sich selbst zurückfinden.« Aber er wusste auch, dass die Angelegenheit nicht nur ihn betraf. Wer garantierte, dass es ihm gelingen würde, die andere Seite, diese andere Person, davon zu überzeugen, selbst wenn es sein Bruder sein sollte? Warum sollte der andere erneut die vergangenen und gegenwärtigen Auswirkungen dieses Namens auf sich nehmen, der ihm seit zwölf Jahren nicht mehr gehörte? Was wäre, wenn der andere seine Darstellung der Dinge ablehnte und auf seinem Namen und seinem Ich bestand, weil der andere nicht glauben wollte, dass er, Jussif, sich eine
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