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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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Robert war völlig vernarrt ins Fotografieren, besessen nicht allein vom Vorgang an sich, sondern auch von der Stellung der Fotografie innerhalb der Kunst. Er führte darüber endlose Diskussionen mit John, dessen lasche Haltung ihn frustrierte. Er war der Ansicht, John müsste in seiner Position am Met mehr dafür tun, dass die Fotografie als gleichwertige Kunstform neben Malerei und Skulptur akzeptiert würde. Aber John, der gerade eine größere Paul-Strand-Ausstellung zusammenstellte, war mit der Fotografie an sich verbunden, die Aussicht, ihre Stellung in der Hierarchie der Künste zu verbessern, bedeutete ihm weniger.
    Ich hätte nie erwartet, dass Robert so vollständig darauf einsteigen würde. Ich hatte ihn angeregt, Fotos in seine Collagen und Installationen einzubauen, und gehofft, dass er in die Fußstapfen von Duchamp treten würde. Aber Robert hatte sein Interesse verlagert. Fotografie war kein Mittel zum Zweck, sondern der Gegenstand selbst. Über alldem schwebte Warhol, der ihn anzutreiben und zugleich zu lähmen schien.
    Robert wollte unbedingt etwas machen, das Andy noch nicht gemacht hatte. Er hatte katholische Bilder von der Madonna und Christus verunstaltet, er hatte Missgeburten und S&M-Ikonografie für seine Collagen benutzt. Aber wo Andy sich als passiver Beobachter empfand, brachte Robert sich irgendwann selbst ins Geschehen ein, stieg selbst in das ein, womit er vorher durch Bildmaterial aus Zeitschriften Berührung hatte, und dokumentierte alles. Er weitete sein Spektrum aus und fotografierte, mit wem immer er in den unterschiedlichen Kreisen, in denen er sich herumtrieb, in Kontakt kam, von Marianne Faithful bis zu tätowierten jungen Strichern. Aber er kehrte immer wieder zu seiner Muse zurück. Ich hatte das Gefühl, kein geeignetes Modell mehr für ihn zu sein, aber er wischte meine Einwände stets beiseite. Er sah in mir mehr, als ich in mir selbst zu sehen in der Lage war.Jedes Mal, wenn er das Bild vom Polaroidnegativ abzog, sagte er: »Mit dir kann nichts schiefgehen.«
    Ich liebte seine Selbstporträts, und davon machte er viele. Er betrachtete die Polaroid sozusagen als den Passbildautomaten des Künstlers – und John hatte ihm das nötige Kleingeld dafür verschafft.
    Wir waren zu einem Kostümball bei Fernando Sanchez eingeladen, einem großartigen spanischen Modedesigner, der sich mit seiner provokativen Lingerie einen Namen gemacht hatte. Loulou und Maxime schickten mir ein erlesenes Ballkleid aus schwerem Crêpe von Schiaparelli. Das Oberteil war schwarz mit Puffärmeln und einem Mieder mit V-Ausschnitt, das in einen fließenden, roten, bodenlangen Rock auslief. Es sah verdächtig nach dem Kleid aus, das Schneewittchen trug, als sie den sieben Zwergen begegnete. Robert war überwältigt. »Ziehst du es an?«, fragte er aufgeregt.
    Es war mir zum Glück zu klein. Stattdessen ging ich ganz in Schwarz gekleidet und komplettierte den Look mit jungfräulich weißen Segeltuchschuhen. David und Robert gingen beide im Smoking.
    Es war eine der glamourösesten Partys der ganzen Saison, und die gesamte erste Riege der Kunst- und Modeszene war versammelt. Ich kam mir vor wie eine Buster-Keaton-Figur und lehnte allein an einer Wand, als Fernandez zu mir kam. Er musterte mich skeptisch. »Darling, dein Ensemble ist hinreißend«, sagte er, tätschelte mir die Hand und begutachtete meine schwarze Jacke, die schwarze Krawatte, das schwarze Seidenhemd und die unten schmal zulaufende schwarze Satinhose, »aber die weißen Turnschuhe … na, ich weiß nicht.«
    »Aber die sind von zentraler Bedeutung für mein Kostüm.«
    »Dein Kostüm? Als was bist du verkleidet?«
    »Als Tennisspielerin in Trauer.«
    Fernando musterte mich von Kopf bis Fuß und musste lachen. »Perfekt«, meinte er und lenkte die Aufmerksamkeit des ganzen Raums auf mich. Er nahm meine Hand und führte mich ohne Umschweife auf die Tanzfläche. Da war ich als Mädchen aus South Jersey ganz in meinem Element. Die Tanzfläche war mein.

    Fernando war so neugierig geworden durch unser kurzes Gespräch, dass er für mich einen Platz in seiner bevorstehenden Modenschau fand. Ich wurde eingeladen, mich unter die Lingerie-Models zu mischen. Ich trug dieselbe Satinhose, ein verschlissenes T-Shirt, die weißen Turnschuhe, führte eine fast drei Meter lange Federboa vor und sang Annie Had a Baby. Das war mein Catwalk-Debüt, Anfang und Ende meiner Model-Karriere.
    Viel wichtiger war, dass Fernando sich sehr für Roberts wie auch meine

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