Just Listen - Roman
angerichtet, es gab eine Schüssel mit braunem Reis sowie Salat, dessen Sauce meine Mutter selbstverständlich streng nach Whitneys Rezept und Vorgaben zubereitet hatte. Es roch wunderbar. Mein Vater blieb vor dem Kopf stehen, während wir unsere Plätze am Tisch einnahmen.
Als wir alle saßen, schenkte meine Mutter Kirsten ein Glas Wein ein. Mein Vater, der klassische Fleisch-und-Kartoffeln-Typ, bat Whitney zu erklären – sofern sie dazu in der Lage sei –, was genau wir im Begriff zu essen seien.
»Kurz gebratenes Gemüse mit Tempeh in Erdnuss-Hoisin-Sauce.«
»Tempeh? Was ist das?«
»Ganz ruhig, Papa«, schaltete Kirsten sich ein. »Mehr musst du gar nicht wissen.«
»Du brauchst nichts davon zu essen, wenn du nicht möchtest«, meinte Whitney. »Aber es ist so ziemlich das Beste, das ich je gekocht habe.«
»Servier ihm einfach etwas«, sagte meine Mutter. »Es wird ihm schon schmecken.«
Mein Vater blickte dennoch zweifelnd drein, als Whitney einen Löffel nahm und ihm etwas Gemüse auf den Teller gab, gefolgt von Reis und Salat. Ich betrachtete meine Familie, rund um den Tisch. So anders als noch vor einem Jahr. Wahrscheinlich würde es nie wieder so sein wie ganz früher einmal, doch Hauptsache war: Wir waren zusammen. Alle. Hier.
Noch während dieses Gedankengangs nahm ich aus den Augenwinkeln einen Lichtschein wahr. Ja, dort beim Fenster, hinter der Kräutertopfreihe, fuhr ein Auto vorbei. Bremste etwas ab, weil der Fahrer – natürlich – einen raschenBlick zu uns hereinwarf. Wieder einmal kam mir in den Sinn, dass man sich wirklich nie sicher sein konnte, was genau man gesehen hatte, wenn man nur flüchtig hinschaute, also lediglich im Vorbeigehen, Vorüberhuschen, in einem furchtbar kurzen Moment. Gut oder schlecht, richtig oder falsch. Im Grunde steckte immer mehr dahinter.
In unserem Haus galt die Regel: Wer nicht kocht, räumt auf. Entsprechend fanden sich Kirsten, mein Vater und ich nach dem Essen in der Küche wieder, um das Geschirr zu spülen.
»Das war köstlich!« Kirsten gab mir den mit Spülmittel geschrubbten Reistopf, damit ich ihn unter den Wasserhahn halten konnte. »In die Sauce hätte ich mich reinsetzen können.«
»Nicht wahr?«, pflichtete meine Mutter ihr bei; sie saß am Küchentisch, trank eine Tasse Kaffee und gähnte trotzdem. »Euer Vater hat sogar zweimal nachgenommen. Hoffentlich hat Whitney das mitbekommen. Es ist das beste Kompliment, das man einem Koch machen kann.«
»Ich koche nie, es sei denn, es zählt auch, wenn man bestellt, um sich Essen nach Hause liefern zu lassen«, witzelte Kirsten.
»Doch, das zählt«, erwiderte mein Vater. Er hätte eigentlich auch beim Abwasch helfen sollen, hatte aber bisher nichts weiter zustande gebracht, als den Müll rauszutragen und ewig lang dafür zu brauchen, einen neuen Müllbeutel einzusetzen. »Den Lieferservice anzurufen, ist mein Lieblingsrezept.«
Meine Mutter sah ihn an, schnitt eine belustigte Grimasse. Whitney, die gleich nach dem Abendessen ins obereStockwerk verschwunden war, kam in die Küche. Sie hatte ihre Jacke an und ihren Schlüssel in der Hand. »Ich gehe noch kurz weg«, meinte sie. »Bin bald wieder da.«
Kirsten, die Hände im Spülwasser, drehte sich um, schaute sie an. »Was hast du vor?«
»Ach, ich treffe mich bloß mit ein paar Leuten. Im Café«, antwortete Whitney.
»Oh.« Kirsten nickte. Wandte sich wieder zur Spüle um.
»Möchtest du …« – Whitney hielt inne, setzte neu an: »Hattest du überlegt mitzukommen?«
»Ich möchte mich nicht dazwischendrängen«, antwortete Kirsten. »Ist schon okay.«
»Nein, du kannst gern mitkommen«, hörte ich Whitney sagen. »Ich meine, wenn es dir nichts ausmacht, ein bisschen im Café abzuhängen.«
Da, schon wieder – ich spürte ihn nahezu körperlich: den behutsamen, zögerlichen Frieden zwischen meinen Schwestern. Nicht total brüchig, doch auch nicht in Stein gemeißelt. Meine Eltern wechselten einen Blick.
»Annabel, möchtest du auch mitkommen?«, fragte Kirsten. »Ich spendiere dir einen Cappuccino.«
Kirstens Blick ruhte unverwandt auf mir, als sie mich das fragte. Mir fiel wieder ein, wie sie vorhin meine Hand umklammert hatte. Vielleicht war sie tatsächlich nervöser, als es schien. »Klar«, erwiderte ich. »Okay.«
»Wunderbar«, sagte meine Mutter. »Zieht ihr mal los und habt Spaß. Euer Vater und ich kümmern uns um den Rest hier.«
»Bist du sicher?«, fragte ich. »Wir sind noch nicht
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