Just Listen - Roman
sich neben mich. »So, und nun erzähl du mir, was du heute erlebt hast. Etwas Schönes.«
Etwas Schönes. Ich dachte unwillkürlich an Sophie. An meine täglichen Beobachtungen von Owen Armstrong und seinen Angewohnheiten. Daran, dass Clarke mich nach wie vor hasste. Nichts davon fiel in die Kategorie »schön«, nicht einmal ansatzweise. Während die Sekunden dahinrasten, merkte ich, wie ich langsam Panik schob, weil ich etwas finden wollte, das sie von den
Mooshka
-Leuten, von Whitneys Launen, von überhaupt allem ablenken würde. Sie sah mich an, wartete auf eine Antwort.
»In meinem Sportkurs ist ein ziemlich süßer Typ, der mich heute angesprochen hat.« Wenigstens das bekam ich schließlich heraus.
»Wirklich?« Sie lächelte. Volltreffer. »Wie heißt er denn?«
»Peter Matchinsky. Er macht nächstes Jahr seinen Abschluss.«
Was nicht einmal gelogen war. Peter Matchinsky und ich hatten tatsächlich Sport zusammen, er war wirklich ziemlich süß und eine Stufe über mir.
Und
er hatte an dem Tag sogar mit mir geredet. Mich nämlich gefragt, was unser Sportlehrer, Mr Erlenbach, gerade über den bevorstehenden Schwimmtest erzählt hatte. Normalerweise ging ich meiner Mutter gegenüber mit der Wahrheit nicht ganz so flexibel um. Aber in den letzten Monaten hatte ich gelernt, mir solche kleinen Schummeleien zuzugestehen, weil es sie glücklich machte. Im Gegensatz zur Wahrheit. Die wäre das Letzte gewesen, das sie hätte hören mögen.
»Ein süßer Typ aus der Abschlussklasse?« Sie lehnte sich zurück. »Erzähl mir mehr.«
Das tat ich denn auch. Wie jedes Mal. Auch wenn es gar nicht mehr zu erzählen gab. Doch falls nötig, verlängerte ich meine Geschichten eben, schmückte sie so lange aus, bis es ausreichte, damit meine Mutter bekam, was sie wollte. Was sie brauchte. Das Gefühl nämlich, dass zumindest mein Leben in Ansätzen normal lief. Das Schlimmste daran war: Es hätte jede Menge Dinge gegeben, die ich meiner Mutter liebend gern erzählt hätte, vollkommen freiwillig. Aber nichts davon hätte sie verkraftet. Sie hatte mit meinen Schwestern schon so viel durchgemacht – ich wollte ihr Leben nicht noch weiter verkomplizieren. Deshalb tat ich mein Möglichstes, um auszugleichen, Stück für Stück, Wort für Wort, Geschichte für Geschichte. Auch wenn nichts davon stimmte.
***
Meistens saß ich morgens vor der Schule mit meiner Mutter allein beim Frühstück. Mein Vater war nur dabei, wenn er ausnahmsweise später ins Büro fuhr. Whitney stand, wenn sie es vermeiden konnte, nie vor elf auf. Als ich sie deshalb ein paar Wochen später am Frühstückstisch sitzen sah, bereits geduscht und angezogen, meine Autoschlüssel vor sich, beschlich mich sogleich das dumpfe Gefühl, dass etwas im Busch war. Und ich sollte recht behalten.
»Heute fährt deine Schwester dich zur Schule«, sagte meine Mutter. »Dann nimmt sie dein Auto, macht ein paar Einkäufe, geht ins Kino und holt dich am Nachmittag wieder ab, okay?«
Ich sah Whitney an, die mich von der Seite aufmerksambeobachtete. Ihr Mund glich einem dünnen Strich. »Klar«, antwortete ich.
Meine Mutter lächelte, blickte von Whitney zu mir und wieder zu meiner Schwester. »Wunderbar. Dann passt ja alles.«
Beim Sprechen gab sie sich alle Mühe, betont locker zu wirken. Aber ihre Stimme verriet sie. Sie war weit jenseits von locker. Seit Whitney aus dem Krankenhaus entlassen worden war, versuchte meine Mutter, sie möglichst durchgehend zu beschäftigen
und
in Sichtweite zu behalten. Deshalb musste meine Schwester eigentlich dauernd irgendetwas erledigen; außerdem schleifte meine Mutter sie zu sämtlichen ihrer eigenen Verabredungen und Termine mit. Whitney verlangte ständig mehr Freiraum. Aber Mama hatte Angst, sie würde entweder Essen in sich hineinstopfen und wieder auskotzen oder trainieren oder sonst etwas Verbotenes tun. Offenbar hatte sich etwas verändert, auch wenn ich weder wusste, was genau, oder gar warum.
Als wir hinaus zu meinem Auto gingen, steuerte ich wie selbstverständlich auf die Fahrerseite zu, stutzte aber, weil Whitney dasselbe machte. Einen Moment lang standen wir beide einfach nur so da. Dann sagte sie: »Ich fahre.«
»Okay. Von mir aus.«
Während der Fahrt herrschte eine angespannte Atmosphäre. Mir fiel plötzlich auf, dass Whitney und ich seit ewigen Zeiten nicht mehr zu zweit allein gewesen waren. Keine Ahnung, worüber ich mit ihr reden sollte. Shopping? Wäre eine Möglichkeit. Aber das Thema hätte das
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