Justice (German Edition)
...« Sein Lachen ging in ein schmerzhaftes Husten über.
Milan antwortete nicht. Er nahm den Schlüssel vom Tisch und legte Steins Telefon in dessen Reichweite.
»Ich komme gleich wieder«, versicherte er und ging zur Haustür. Er blieb noch einen Augenblick auf der Türschwelle stehen und schaute zu Stein zurück. Er hatte die Augen schon wieder geschlossen. Dann verließ er das Haus, schloss die Tür hinter sich ab und eilte zur Hauptstraße. Von dort aus würde er mit dem Bus zurück ins Zentrum fahren.
Vor dem Ambassador Hotel erinnerte nichts an die dramatischen Vorkommnisse des Vortages. Der Verkehr strömte unermüdlich an dem überdachten Hoteleingang vorbei, der Portier stand auf dem roten Teppich, Limousinen und andere teure Autos fuhren in unregelmäßigen Abständen aus der Tiefgarage. Es war wie an einem ganz normalen Tag. Keine Spur von der Polizei, kein Anzeichen des Apartheid-Killers. Nur Sonnenschein und Meer, Frühaufsteher und Jogger, die die frische Morgenluft an der Promenade genossen. Milans kleine Vespa stand noch immer neben der Parkuhr auf dem grünen Mittelstreifen. Milan trödelte nicht. Er hatte keine Lust zu warten, bis zufällig ein Polizist vorbeikam oder der Gast aus Zimmer 427 plötzlich auftauchte. Er holte seinen Roller und machte sich auf den Weg nach Hause. Dort fand er seine Mutter beim Frühstücken. Milan schaute auf die Uhr. Es war erst halb zehn.
»Morgen, Milan! Alles klar bei dir?« Sie schaute ihn neugierig an. »Wie war es bei Zeni?«
»Schön«, erwiderte Milan wortkarg und machte sich auf den Weg nach oben.
»Willst du einen Kaffee oder einen Tee? Irgendwas zu essen?«
»Nee danke. Ich habe schon gefrühstückt.«
Erneut machte er einen Versuch, nach oben zu gehen, aber bevor er den Raum verlassen hatte, sprach ihn seine Mutter wieder an.
»Fühlst du dich wohl bei Zeni? Ich meine, in Khayelitsha?«
Die Frage überforderte Milan. »Ja. Warum?«
Sabine zuckte die Achseln und aß ihren Toast. »Keine Ahnung. War nur eine Frage. Ich kann mir das nicht vorstellen, wie es ist, dort zu leben.«
Milan blieb vor der Wohnzimmertür stehen. Seine Mutter hatte etwas auf dem Herzen.
»Ich habe mit Zenis Mutter über die neue Situation gesprochen«, sagte Sabine zögerlich. »Die Sache mit dir und Zeni, meine ich. Sie mag dich sehr.«
Milan wartete im Türrahmen.
»Ich habe sie gefragt, ob unser Arbeitsverhältnis in Ordnung für sie ist, wenn ihr beide zusammen seid. Sie hat gesagt, dass sie damit kein Problem hat. Aber für mich – wenn ich ehrlich bin – ist es schon ein Problem. Deswegen habe ich Frau Kumalo entlassen.«
Milan starrte seine Mutter entgeistert an. »Du hast was?«
»Ich finde, das gehört sich nicht. Zenis Mutter kann hier nicht putzen, wenn ihr beide eine Beziehung habt. Ich meine, wie soll das gehen? Das ist nicht richtig.«
Milan machte den Mund auf, um seiner Mutter zu widersprechen, aber Sabine ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Deswegen habe ich ihr eine Stelle bei Rent-a-Plant angeboten. Eine Teilzeitstelle. Aber immerhin. Es ist ein guter Job.«
Sabine erlaubte sich ein flüchtiges Lächeln, als sie die Fassungslosigkeit im Gesicht ihres Sohnes sah.
»Ich wollte dir nur Bescheid sagen, falls du dich wunderst«, setzte sie sachlich fort. »Entschuldigung. Ich wollte dich nicht aufhalten. Du kannst gerne nach oben gehen.«
Milan machte einen Schritt auf seine Mutter zu. »Mama, das ist ja fantastisch ...«
Frau Julitz winkte ab. »Das ist doch selbstverständlich. Aber wir können ja ein anderes Mal darüber reden.« Dann stand sie vom Tisch auf und ging in die Küche. »Ich muss auch gleich los.«
Milan blieb noch einen Augenblick lang im Raum stehen, aber seine Mutter ignorierte ihn. Er schaute ihr eine Weile zu und freute sich. Dabei spürte er Steins Pistole, die ihm die ganze Zeit in den Rücken drückte, eiskalt und hart. Schließlich drehte er sich um und ging hoch in sein Zimmer. Dort nahm er die Waffe aus seiner Hose, hielt sie hoch und schaute sie an. Er hatte das Gefühl, dass es besser war, die Waffe zu behalten. Sicher ist sicher. Vielleicht würde er sie eines Tages brauchen, vielleicht wurde sie als Beweisstück benötigt. Milan suchte ein Versteck für sie. Er entschied sich gegen die Schubladen seines Schreibtisches. Auch unter die Matratze wollte er sie nicht legen. Schließlich nahm er eine Handvoll CDs aus dem Regal über seiner Stereoanlage. Wenn er die Waffe flach gegen die Wand drückte, war genug Platz,
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