Justice (German Edition)
um sie zu verstecken. Dann stellte er die CDs wieder davor. Keiner würde auf die Idee kommen, hinter die aufgestapelten CDs zu schauen. Hier war sie sicher.
Nachdem er das Versteck mehrmals überprüft hatte, eilte er wieder nach unten. Seine Mutter war schon weg. Er schnappte sich einen Stift und einen Zettel, schrieb »Danke, Mum!« darauf und ließ das Blatt auf der Anrichte liegen. Dann ging er in die Garage und machte sich auf den Weg zurück nach Athlone.
Während der Fahrt zogen dunkle Wolken auf und es fing sintflutartig an zu regnen. Der prasselnde Niederschlag peitschte Milan eiskalt ins Gesicht. Seine Hände waren klamm, seine Klamotten waren nass, er fuhr langsam und vorsichtig. Das Wasser sickerte ihm sogar bis in seine Schuhe. Als er bei Herrn Stein ankam, gab es keinen trockenen Fleck mehr an seinem ganzen Körper.
Stein hatte sich nicht vom Sofa gerührt. Er lag da und sah überrascht auf, als Milan patschnass durch die Haustür trat. Vielleicht hatte er die Polizei erwartet, vielleicht sogar den Mann aus dem Ambassador Hotel. Mit einer Mischung aus Erleichterung und Bestürzung begrüßte er Milan.
»Warum bist du wiedergekommen?«, fragte er.
»Ich lasse Sie nicht allein«, antwortete Milan und zog seine tropfende Jacke aus.
Stein musterte den Jungen von Kopf bis Fuß. »Du musst dich umziehen. Schau mal in meinem Zimmer nach. Dort findest du trockene Sachen.«
Milan nahm das Angebot an. Im Schlafzimmer zog er seine nassen Kleider aus und schaute in Steins Schrank. Er musste grinsen, als er die unverwechselbaren Cordjacken und Stoffsakkos sah, die dort ordentlich in Reih und Glied hingen. Er nahm eine Stoffhose vom Bügel, schnappte sich einen Gürtel und fand ein T-Shirt in einer Schublade. Er zog die trockenen, aber übergroßen Klamotten an, schnallte sich den Gürtel um und ging zu Herrn Stein ins Wohnzimmer zurück.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte er und blickte auf das Telefon, das noch immer an der gleichen Stelle lag. Stein hatte offenbar niemanden angerufen.
Stein seufzte müde. »Besser.« Dann schlug er die blutige Decke auf und versuchte, sich zu erheben. »Hilf mir bitte. Ich muss zur Toilette.«
Milan half Stein vom Sofa auf. Sein Körper war schwer und steif. Er stöhnte und ächzte, verzog das Gesicht und hielt sich an Milan fest. Mit einem Arm um seine Hüfte und dem anderen unter seiner Achsel begleitete er den schweren Mann durch den Flur. Im Badezimmer blieben sie vor der Toilettenschüssel stehen. Milan machte den Deckel auf.
»Kommen Sie allein klar?«, fragte er.
»Ja«, antwortete Stein beschämt.
Schnell zog sich Milan zurück. Er machte die Badezimmertür hinter sich zu und wartete draußen im Flur. Kurz darauf hörte er das plätschernde Geräusch, als sich Herr Stein erleichterte.
Zurück im Wohnzimmer ließ sich Stein erschöpft auf dem Sofa nieder. Er holte tief Luft und fragte: »Warum machst du das, Milan?«
Milan nahm einen Stuhl vom Esstisch und setzte sich ihm gegenüber. Er ließ sich Zeit, bevor er die Frage beantwortete: »Ich will nur wissen, warum Sie es getan haben.«
Stein wandte sich ab und schloss die Augen. Milan war sich nicht sicher, ob es die Wunde oder seine Frage war, die ihm die Schmerzen bereitete. Er legte den Kopf in den Nacken, als wollte er wieder einschlafen. Einen Augenblick lang herrschte Schweigen im Raum. Milan wartete. Er hatte Fragen, viele Fragen. Er wollte endlich Antworten.
Schließlich seufzte Stein reuevoll und sagte: »Du findest mich vielleicht ignorant, aber ich glaube nicht mehr an die Gerechtigkeit durch Gesetze.«
»Wegen Dorothy?«, fragte Milan und musste an das Bild der fröhlichen Krankenschwester denken, das auf dem Schreibtisch lag.
Stein machte überrascht die Augen auf und schaute seinen Schüler verwundert an.
»Mein Großvater hat mir von ihr erzählt«, erklärte der Junge. »Und ich habe sie gesehen. In Fish Hoek. Mit Ihnen zusammen.«
Stein nickte wissend. »Stimmt. Du bist mir gefolgt ...« Er sammelte seine Gedanken und sprach zögerlich weiter: »Für Dorothy war es viel schwerer als für mich. Sie hatte ihren Job verloren, ihr ganzes Leben. Zum Glück hat sie noch jemanden kennengelernt. So wie ich. Ohne ihren Mann hätte sie später nie wieder Fuß gefasst.« Stein seufzte tief und schüttelte den Kopf. »Aber nein. Sie ist nicht der Grund, warum ich diese Menschen getötet habe. Unsere Geschichte ist nur eine kleine Geschichte. Eine von vielen. Ich habe diese Menschen getötet, weil ich
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