Justifiers - Autopilot: Justifiers-Roman 7 (German Edition)
finden war.
Unvoreingenommene Geschichtsschreibung blieb auch im 31. Jahrhundert ein Wunschtraum. Was von den tatsächlichen Ereignissen in die Annalen einging, bestimmten die jeweils Mächtigen. Besagte Annalen wurden aber natürlich unter Berücksichtigung der jeweils gerade geltenden politischen Korrektheit verfasst. Zu diesem Mangel an Objektivität kam noch hinzu, dass selbst von höchster Stelle abgesegnete Chroniken ständig solchen Verwerfungen wie Kriegen, Revolutionen, Naturkatastrophen und anderen Dingen ausgesetzt waren, die das Leben seit jeher spannend gestalteten.
Zugegeben, vor ungefähr tausend Jahren hatten sich die Kommunikationsmöglichkeiten auch für die Ohnmächtigen weiterentwickelt. Dass diese nun ihrerseits verstärkt dazu in der Lage waren, ihre Version der Geschichte für die kommenden Generationen festzuhalten und zu verbreiten, sorgte nicht im mindesten für mehr Klarheit, geschweige denn Übersichtlichkeit. Zum einen neigten auch die Ohnmächtigen dazu, von ihren persönlichen Befindlichkeiten und Ansichten gefärbtes Material zu hinterlassen. Zum anderen schenkten sie mit ihren unzähligen Schriften nur einem Perpetuum Mobile aus Propaganda und Gegenpropaganda immer neuen Schwung.
Pollock gab sich keinerlei Hirngespinsten darüber hin, wie schwierig es in dieser wilden Welt war, sich allein schon ein einigermaßen zutreffendes Bild von Vorgängen zu verschaffen, die gerade mal ein oder zwei Tage zurücklagen. Dass Wilbur Graeme Lantis bereits vor Jahrhunderten auf die Idee gekommen war, ein eigenes Reich in Form eines absonderlichen Immobilienbesitzerkonzerns aus dem Meeresboden des verkümmerten Atlantiks zu stampfen, war da nicht zwingend hilfreich.
Noch weniger hilfreich war der Umstand, dass das StellarWeb als Rechercheinstrument zwar unverzichtbar, aber zugleich ein Tummelplatz für Hobbyexperten, Verschwörungstheoretiker, Dummschwafler, Politaktivisten, religiöse Fanatiker und Geistesgestörte war. Ganz zu schweigen von den Horden von Schülern und Studenten in den Weiten des Alls, die es für die Krone der subversiven Komik erachteten, sich in fremden Beiträgen durch Weisheiten wie »Wer das liest, ist doof« oder »Am 3.3.3333 endet der Kalender des allheilbringenden Propheten Thomas Cruise« zu verewigen.
Es existierten also die unterschiedlichsten Varianten der Geschichte, wie Wilbur Graeme Lantis in den Besitz einer abgewrackten Raumstation gelangt war. Rein von der Masse her lagen die ganz weit vorne, die als Hintergrund einen Mix aus Exotik und Romantik besaßen. Am besten gefiel Pollock die, in der Lantis in einem weißen Fleck auf der galaktischen Karte auf eine Piratenprinzessin gestoßen war, die zu einer ahumanen Rasse mit sechs Armen, zwölf Brüsten und einer schier unersättlichen Gier nach menschlichen Liebhabern zählte. Lantis hatte demzufolge eine Reihe von Prüfungen absolvieren müssen – vom Kapern eines Raumfrachters über die Erkundung eines verlorenen Tempels auf einem Dschungelplaneten bis hin zum rituellen Zweikampf gegen einen Priesterkrieger einer obskuren Sekte, der seinerseits heiß auf die Prinzessin war. Erst danach, so die Mär, hatte sie ihn in ihr Gemach und in ihr Bett geholt, wo er sie unter Aufbietung beispielloser erotischer Kreativität schließlich dazu verführt hatte, ihm zur Belohnung für seine Mühen eine alte Station zu überlassen, die die Piraten eine unbestimmte Zeit zuvor aus dem von Menschen kontrollierten All entführt hatten.
An zweiter Stelle standen die knallharten Räuberpistolen, die Lantis als toughen Actionhelden präsentierten. Sie behaupteten in der Regel ungefähr Folgendes: Lantis war der letzte Überlebende eines Spezialkommandos, das auf Geheiß einer Regierung oder eines großen Kons hin die finsteren Pläne einer gefährlichen und zu wirklich allem bereiten Terrororganisation zerschlagen hatte. Mal waren die bösen Buben verblendete Radikaldemokraten, mal wahnsinnige Widerstandskämpfer gegen die menschliche Expansion ins All und in wieder anderen Storys dieser Art das Ergebnis eines tragisch gescheiterten Experiments, den perfekten Suprasoldaten zu erschaffen. Das Hauptquartier der Terroristen, in dem Lantis’ tapfere Kameraden den Tod fanden, war aber immer das Gleiche: eine Orbitalstation. Warum Lantis’ Vorgesetzte ihm diese teure Station nach dem erfolgreichen Abschluss der Mission überlassen haben sollten, anstatt ihm in altbewährter Manier nur einen billigen Orden an die Brust zu heften,
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