Juwel meines Herzens
freudlos. »General Gage hat das Kriegsrecht in Boston ausgerufen, und der Continental Congress hat George Washington zum Anführer der Armee erklärt. Ich habe ihnen einen Anteil des Schatzes für einen Kaperbrief versprochen, wenn und falls ich erfolgreich zurückkehre. Ebenso plane ich, einige Handelsschiffe für den Krieg auszurüsten. Du siehst, ich kann es mir nicht leisten, die Sache mit dir zu Ende zu bringen und dich von Bord zu jagen. Ich habe dich also am Hals.« Er seufzte. »Komm, lass uns jetzt die Karte studieren.«
Seine kalten Worte schnürten ihr die Kehle zu. Mit aller Macht versuchte sie, ihre Tränen zurückzuhalten. »Aber wenn du mich so widerwärtig findest, wie es den Anschein hat, warum hast du mich dann geküsst?«
Nolan schaute verständnislos auf. »Äh … was?«
»Der Kuss, in deiner Kajüte – heute Nacht. Und tu nicht so, als wüsstest du nicht, wovon ich spreche. Warum hast du das getan?« Ihr Wutanfall milderte die Verletzung, die ihr seine Worte noch vor Sekunden zugefügt hatten. Wie konnte er es nur wagen, nach außen hin stets mit seiner moralischen Überlegenheit aufzutrumpfen, wo er es doch war, der sich bei ihr eingeschlichen hatte, als sie schlief? Und zwar nicht, um ihr nur die Karte, sondern auch, um ihr einen Kuss zu stehlen?
Nolan kratzte seine Bartstoppeln. »Ich habe einen Fehler gemacht.« Er sah sie an, als müsse er seine Kräfte sammeln. »Verstehst du denn nicht den Ernst der Lage? Das hier ist keine Ausflugsfahrt, Jewel. Es heißt, dass Captain Kents Schatz eine Million Pfund wert sein soll. Wie die Dinge stehen, wird sich der Continental Congress Geld von fremden Großmächten leihen müssen, um Washingtons Armee finanzieren zu können. Wenn ich den Schatz schnell finde, könnte er auf diese Mittel zurückgreifen und damit eine Flotte von Freibeutern ausrüsten, um die Engländer in ihren arroganten Hintern zu treten. Ich nehme dich mit, weil du es bist, die die Karte besitzt – nur aus diesem einen Grund. Sei also dankbar, dass du uns begleiten kannst, und behindere nicht unsere Arbeit.«
Jewel erhob sich ungelenk, so dass Nolan nicht bemerkte, dass sie am ganzen Leib zitterte. Noch nie hatte er so viele Worte auf einmal an sie gerichtet. Von jetzt an würde sie seine stille Wut vorziehen. Oh, wie sie es bereute, dass sie ihn letzte Nacht nicht geschlagen hatte. Stattdessen hatte sie herausfinden müssen, warum Frauen ihren Ruf so leicht für Männer ruinierten, die eindeutig nicht zu ihnen passten.
Sie stellte ihren Fuß auf die Bank und zog ihren Rock weit genug hoch, um die Karte aus ihrem Strumpfband zu ziehen. Als sie ihm das Bündel zuwarf, zielte sie auf seinen Augenwinkel. »Hier. Da hast du, wonach du verlangst. Nimm sie an dich. Lass mich dir nur nicht im Weg stehen! Oh, und nur damit wir uns richtig verstehen –
du
hast
mich
geküsst! Verzichte also von nun an darauf, so zu tun, als wäre ich die Gefahr für deine Tugend.«
Mit Schwierigkeiten fing Nolan das Pergament auf. »Jewel …« Er erhob sich und trat um den Tisch.
Sie wandte sich um und schritt in Richtung Tür. Ihren Fluchtweg vor Augen hielt sie inne. Nein, sie würde nicht wie ein Kind davonlaufen, und er würde ihr nicht mehr länger alles vorschreiben wie das herrische Ungeheuer, das er zu sein vorgab. »Wir sind Partner, Nolan, und ich erwarte, dass du mich auch wie einen behandelst. Du unterrichtest mich über deine Pläne, und ich bekomme die Hälfte des Anteils vom Schatz, der nicht an den Continental Congress geht.«
Nolan schüttelte den Kopf. Die Wut war aus seinem Blick gewichen, und er schlug einen entschuldigenden Ton an. »Noch nicht einmal ich bekomme die Hälfte.«
Sie richtete sich auf. »Dann werden wir das, was verbleibt, zu gleichen Teilen unter uns aufteilen.« Sie wirbelte herum, drehte sich dann aber genauso schnell wieder um. »Übrigens ist nicht jeder an Bord der Meinung, dass ich im Weg bin.«
Nolans Miene verfinsterte sich. »Halt dich von der Besatzung fern.«
Jewel zuckte mit den Schultern. »Schön und gut, aber wie willst du es anstellen, dass deine Besatzung sich von
mir
fernhält?« Sie drehte sich um, trat gegen den Haken, der die Tür verschloss, und warf sie zu guter Letzt hinter sich zu.
Zwei Stufen auf einmal nehmend stürmte sie die Treppe zum Deck hinauf, wobei sie immer wieder in schneller Abfolge auf das hübsche neue Kleid trat und es raffte. Sie würde ihm das verdammte Ding ins Gesicht werfen und wieder ihre abgewetzten
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