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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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Aufmerksamkeit wird auf alles angewandt, unabhängig vom Alter der Dinge, von denen einige doch unverkennbar in die moderne Zeit gehören, etwa eine Sardinendose mit deutscher Beschriftung, ein Zeitungsfetzen, eine Uhr mit gerissenem Armband und ein Lederschuh mit rostigen Schuhnägeln und verschlissenen Schuhsenkeln; sie sind ebenfalls abgebürstet, ausgelegt und nummeriert worden.
    »Ich muss das alles inventarisieren«, sagt Laura und deutet auf zwei große Kladden, die aufgeschlagen auf dem Tisch liegen.
    »Also waren es doch Zeitungen, die ich auf diesen Abraumhügeln gesehen habe«, sagt Serge, »und keine Papyri.«
    » Gut möglich«, antwortet sie, »könnten aber auch Papyri gewesen sein. Ist hier draußen ein heilloses Durcheinander. Die Zeitungsseite dort ist zweiundachtzig Jahre alt; wir haben aber auch Blätter mit den Schlagzeilen von vor sechs Monaten gefunden. Hier geht es querbeet durch alle Zeiten: Man ist so oft in diese Kammern eingedrungen, dass sich hier nebeneinander Dinge aus der Fünften Dynastie, dem späten Königreich, den Zeiten Napoleons und der Gegenwart finden lassen. Indem man festhält, wo was lag, kann man die verschiedenen Plünderungen bis zurück zu ihren Anfängen verfolgen. Vorsicht!«
    Serge fährt mit der Hand über einen der beiden Särge.
    »Warum? Können die Krankheiten übertragen?«, fragt er.
    »Nein, aber sie sind sehr zerbrechlich. Das Holz verfault, und die Tinte verblasst. Ich muss die Inschriften übertragen.«
    Serge beugt sich noch tiefer über den Sarg: Die Texte sind mit dunkler, blauschwarzer Tinte geschrieben, die an einigen Stellen ins angelaufene Mahagoniholz übergeht, das seinerseits voller Löcher ist.
    »Ameisen«, erklärt sie. »Komisch, nicht? ›Sarkophag‹ heißt so viel wie ›Fleischfresser‹, und jetzt werden sie selbst aufgefressen. Manches, was wir hier finden, ist zu fragil, um es an Ort und Stelle untersuchen zu können. Pacorie macht dann einen Abstrich, verpackt und versiegelt die Funde und schickt sie zur weiteren Untersuchung nach Kairo.«
    »Woraus sind diese Fliegen?«, fragt Serge und zeigt auf eine Halskette mit mehreren aufgefädelten Insekten, die aussehen, als wären sie aus Plastik.
    »Aus Fliegen«, antwortet Laura. »In Harz konservierte Fliegen. Solche Halsketten waren damals ziemlich verbreitet. Und die daneben ist aus Elfenbein, Karneol und Lasur.«

    Sie fährt mit der Hand über weiße, goldene und blaue Perlen, die sich, jeweils von einem roten Abstandshalter getrennt, in ihrer farblichen Reihung wiederholen. Kreisrund und leicht gewölbt, sehen sie wie winzige Isolatoren aus Porzellan oder Buntglas aus.
    »So viele Skarabäen!«, ruft Serge begeistert. Es müssen an die zwanzig oder mehr sein. In Form, Größe und Muster sind sie so verschieden wie jene, die er im Museum oder auf dem Markt gesehen hat, doch bemerkt er jetzt ein Detail, das ihm vorher nicht aufgefallen ist: Zwei, drei Skarabäen haben auf ihre Unterseite keine Bilder oder Muster eingraviert, sondern ganze Wortfolgen.
    »Geheimnisse des Herzens«, sagt Laura, als sie ihn andächtig die Hieroglyphen betrachten sieht. »Bei Beerdigungen zurzeit des Neuen Königreichs wurden unberichtete Taten, verschwiegene Geschichten und das schlechte Gewissen der Verblichenen diesen Käfern anvertraut.«
    »Und das steht hier geschrieben, damit es nach dem Tod gedruckt werden kann?«
    »Ganz so einfach ist es nicht«, antwortet sie. »In die Käfer sind Zaubersprüche eingraviert, die diese Geheimnisse zensieren, damit sie beim Jüngsten Gericht nicht zu Wort kommen und das Herz beschweren, denn das durfte schließlich nicht mehr als eine Feder wiegen, da es sonst dem Untergang geweiht war.«
    »Also hält der Skarabäus entscheidende Informationen zurück, indem er sie verzeichnet? Sie sogar druckt?«
    »Genau. Sie wurden oft in die Herzöffnung gelegt. Dieser da«, fährt sie fort und nimmt behutsam einen glänzenden, grauen Käfer in die Hand, »ist aus Basalt, der da aus Rohquarz.«
    »Aber er ist mit Kupfer verschnürt«, sagt Serge und zeigt mit dem kleinen Finger auf den Draht um den Käferleib.
»Warum sollten Grabräuber oder Archäologen Kupfer um einen Skarabäus wickeln und ihn dann liegen lassen?«
    »Er wird von Anfang an mit Kupfer umwickelt gewesen sein«, sagt sie. »Die alten Ägypter haben es gern verwandt. Diese Schale da zum Beispiel ist auch aus Kupfer, ebenso der Krug.«
    Er klingt klar und hell wie eine Stimmgabel, als sie mit dem Finger

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