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Vergnügen Ihrer Gesellschaft anlässlich … « – »wiegt siebeneinhalb Pfund, ein Mädchen …« Die Funker warten, bis die Marconigramms durch sind, und unterhalten sich derweil: Carrigan ist auf die President Lincoln versetzt, Borstable auf die Malwa; die Fußballmannschaft der Company hat 2: 0 gegen die Elf vom Evening Standard gewonnen; der alte Allsop, Funklehrer im Marconi-Haus, heiratet am Zweiundzwanzigsten… Sein Tippfinger feuert in ihr Funkloch… Kurz, dann lang… Olympic und Campania spielen eine Partie Schach: K4 nach Q7 … K4 nach K5 … Sie fangen immer mit K4 an… Eine Weile überträgt Serge die Zeichen in Buchstaben, dann legt er den Stift hin und lässt die Signalfolgen durch den Raum zwischen seinen Ohren hallen, den Schädel ausloten: Sie sind so geschmeidig, so rhythmisch, klingen so spontan, als sprächen sie irgendwie aus eigener Kraft und bräuchten keine Empfänger, keine Morseticker, keine mit dem Finger
zuckenden Menschen, die sich an sie klammern wie an einen nachträglichen Einfall …
Er geht auf sechshundert und empfängt Eisbergmeldungen von Walfängern: EISHÜGEL/KLEINERE EISBERGE : 51N 10’ 45.63” lat 36W 12’ 39.37 long… TREIBEIS 59N 42’ 43.54” lat 14W 45’ 56.25” long … Die Compagnie de Télégraphie sans Fil meldet leichten Schneefall vor Friesland. Dann kommt wieder Paris, und erneut endet der Zyklus, setzt dann wieder ein. Danach Bergen, Crookhaven, Tarifa, Malaga, Gibraltar. Serge träumt von Mädchen mit Gardenien am Ohr, mit roten Kleidern, träumt vom Blut der Stiere. Er hört Nachrichten aus Abessinien, weitergeleitet via Port Said und Rom, und sieht afrikanische Mädchen, die eine Art Mandoline zupfen, kohlschwarze, durch helle Seide dunkel schimmernde Brüste. Suez warnt vor somalischen Piraten im südlichen Küstenverlauf. Weitere Namen fallen: Insel Perim, Sansibar, Insel Sokotra, Persischer Golf. Reihenweise Zelte bauen sich vor ihm auf: drinnen Tänzerinnen, die Sorbet servieren, draußen Kamele, beladen mit prächtigen Teppichen, Wüste unter rotem Himmel. Eine schwere Luft heute Abend: windstill und kalt, ein Hochdruckgebiet, die beste Zeit des Jahres. Er lässt einen Furz fahren und wartet, bis ein Hauch davon zu seiner Nase vordringt: Auch er bringt Signale, Duftbotschaften aus fernem, unsichtbarem Gedärm. Sobald er den Geruch wahrnimmt, setzt er den Kopfhörer ab, öffnet die Zellentür der Stille, um ein wenig frische Luft einzulassen, und hört in einem halben Kilometer Entfernung einen Güterzug vorbeifahren. Das Pulsieren der Waggongelenke auf stählernen Schienen dringt deutlich herüber. Er schaut auf seinen Schreibtisch, auf den halb verbrauchten Stift, den Lichtrand quer über dem Blatt Papier, den Kasten mit der Abstimmspule, den Ticker. Diese Dinge – gegenwärtig, solide, greifbar – werden durch den blechernen Klang, der aus den danebenliegenden
Kopfhörern quillt, irgendwie noch greifbarer. Der Klang selbst ist auch gegenwärtig, materiell: Serge sieht Wellen durch die Luft schlängeln, Falten in ihrer Stofflichkeit, Gelenke, die auf ihrem Weg durch Korridore der Luft und der Feuchtigkeit pulsieren; Fels und Metall, Eiche, Kiefer und Bambus …
Über sechshundertfünfzig lösen sich die Klicks fast wie Staub zu feinem, allgegenwärtigem Lärm auf. Entladungen stürmen auf ihn ein: ferne Blitze, Aurora borealis, Meteoriten. Ihre Aufschläge und Eruptionen klingen, als würfe man eine Handvoll Schrot in einen Blecheimer oder schleuderte eine Schüsselvoll körnerhaltiger Soße gegen einen Waschkessel. Funkgespenster kommen und gehen, gleiten in Arpeggios dahin, formen Schleifen, wiederholen und verwandeln sich und verschwinden dann. Jeden Abend verbringt Serge die letzte halbe Stunde mit diesen Tönen, eingebettet in ihre Konturen, bis ihm der Kopf auf den Schreibtisch sinkt und Lichter über die Innenseite seiner Lider zucken, Lichter, die vom Zentrum seines Hirns ausgeschickt werden, so weit fort, dass der Abstand zum Schirm, zur Leinwand unendlich wirkt: Sie scheinen alle Entfernungen zu enthalten, den Raum selbst zu umhüllen, ihn wie eine Patina zu umgeben, wie Schimmel…
Einmal hat er ein CQD aufgefangen, ein Notsignal. Es kam aus dem Atlantik, von einem Ort etwa dreihundert Kilometer vor Grönland. Die Pachitea, ein Handelsschiff der Peruanischen Dampfschifffahrtsgesellschaft, hatte einen Zusammenstoß gehabt – mit einem Eisberg oder einem Wal – und zerbrach in Stücke. Die Acania, ebenfalls aus Südamerika,
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