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Titel: K Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T McCarthy
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selbst außer Kraft gesetzt zu sein scheint, der Rand wieder im oberen Blickfeld auftaucht und über seine Augen rutscht, als würde ein bemaltes Bild vor ihnen abgesenkt…
    Während der ersten beiden Wochen fliegen sie mit Doppelsteuerung. Langeveldt und seine Assistenten bringen die Farmans nach oben, um dann, in einem beliebig gewählten Augenblick, dem Kadetten auf den Rücken zu klopfen und die Hände hochzuhalten – das Signal für ihren Passagier, den Steuerknüppel zu übernehmen und an den Seitendrähten zu ziehen, bis das Seitenruder reagiert. Manchmal geht der
Ausbilder auch in den Sturzflug oder bringt die Maschine ins Trudeln, ehe er es dem Kadetten überlässt, wieder Ordnung in einer chaotischen Welt zu schaffen. Gegen Ende April steigen sie dann paarweise ohne Lehrer auf. Und Anfang Mai beginnt Langeveldt, Löcher in die Leinwandbespannung zu stoßen und mit dem Holzhammer den einen oder anderen Holm abzuschlagen, ehe er sie hinaufschickt.
    »Hab selbst mal eine Maschine sicher wieder runtergebracht, der das ganze Heck weggeschossen worden war«, erzählt er. »Wer’s nicht mit ein, zwei Holmen weniger schafft, hat da oben nichts verloren.«
    Serge wurde einem Londoner namens Stedman zugewiesen. Stedman ist in erster Linie fürs Fliegen zuständig. Serge selbst, so wurde irgendwo weiter oben entschieden – eine Sitzung in einem Raum, in dem dichter Zigarrenrauch hing, vielleicht auch per verschlüsselter Nachricht, die über Draht von Oxford via London via wer weiß woher kam –, erfülle alle Voraussetzungen für einen guten Beobachter. Man hat ihm zusätzlichen Unterricht in Kartographie erteilt, ihm was über Koppelnavigation, über die Uhrmethode und das Franzen beigebracht. Wenn er und Stedman aufsteigen, haben sie eine Liste mit Orten dabei, über denen sie Leuchtsignale absetzen, die sie photographieren oder, falls es sich um eine Kaserne handelt, wo sie landen und den befehlshabenden Offizier überreden sollen, sich in ihr Logbuch einzutragen. Nachdem sie das einige Tage geübt haben, wird eine Kamerakanone an der Nase der Gondel befestigt; Serge und Stedman müssen die Küste von Kent abklappern und im Tiefflug Aufnahmen von Schlössern, Kirchen, Bahnstationen und Gaswerken machen. Die Bilder werden sofort nach der Landung entwickelt und im Besprechungsraum der Schule für Flugartillerie aufgehängt, damit Langeveldt sie gleich in ihrem Beisein auswerten kann.

    »Pepperdine, drei Treffer. Biswick, zwei. Spurrier, drei. Karrefax, fünf – und Sie haben auch noch die Pier von Dover aufgenommen, die gar nicht auf Ihrer Liste stand. Warum das?«
    »Die sah so schön aus«, erwidert Serge. »Da wollte ich sie einfach photographieren.«
    »Sie sah schön aus?«
    »Ja, Sir. Mir gefiel die Form.«
    Mitte Mai feuern sie scharf mit ihren Lewis-Maschinengewehren. Die Waffen sind mit einem für Abweichungen voreingestellten Aldisvisier ausgestattet. Serge mag es, wie das Fadenkreuz die Landschaft in ein Gitternetz teilt, merkt aber bald, dass er seine eigentliche Aufgabe auch ohne diese Hilfe erledigen kann. Entscheidend ist, nicht das Ziel anzuvisieren, sondern die Bewegungslinie zu erkennen, während es durchs Blickfeld wandert, diese dann nach vorn zu verlängern und dahin zu schießen. Serge hat bald den Dreh raus, wie er seinen Blick aufteilen kann, um mit einem Auge der Linie zu folgen, während er mit dem anderen vorausschaut und die Stelle im Blick behält, an der ein Treffer »passiert«, um ihn so Wirklichkeit werden zu lassen. Jedes Mal, wenn er das macht, überkommt ihn das eigenartige Gefühl, eine Pause, eine Unterbrechung zu erleben, als hätte er eine Zeitspanne irgendwie ausgedehnt oder ausgehöhlt und Raum gefunden, sich darin zu bewegen. Er fragt sich, ob Langeveldt nicht eben deshalb einen Silberblick und ob er selbst beim Schießen Augen wie sein Leutnant hat.
    Meist üben sie Zielschießen über Wasser, durchlöchern in Ufernähe verankerte Flöße. Serge gewöhnt sich an, in bestimmten Rhythmen zu feuern, Rhythmen, die sich anfangs mit Worten, dann mit ganzen Zeilen verknüpfen und die er beim Abschuss spricht, sodass der Rückschlag sie über den Arm in seinen Körper schickt. Sein Lieblingsrhythmus besteht
aus einer ersten, kurzen Salve von fünf Schuss, der eine längere von zehn Schuss folgt; und jedes Mal, wenn er so feuert, hört er einen Vers, an den er sich aus dem Historienspiel in Versoie erinnert, damals, in dem Jahr, in dem Widsun zu Besuch kam:
    Wünschtet ihr

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