Kabbala-Box (2 Romane in einem Band)
Erinnerungen und einem Schmierzettel mit einer Telefonnummer drauf. Ich verstehe noch immer kein Wort und muss nachdenken, vielleicht auch darüber schlafen, eventuell würde mir eine Line Koks die Erleuchtung bringen. Überlastung meiner morgendlichen Gehirnkapazitäten. Wie konnte das passieren? Bin durcheinander und sehe plötzlich wie Ingolf abgeführt wird und mir nachruft: „Pass gut auf Johanna auf, sie hat ein schönes Zuhause verdient.“
Ich weine. Augeninkontinenz. Bin ich der WWF-Botschaft beigetreten zur Rettung einsamer Mopse?
Neben den Erinnerungen und dem Schmierzettel mit der Telefonnummer bleibt mir nur Ingolfs Hund, Mopsinchen.
Die Polizisten bleiben abrupt stehen und ich sehe Ingolf traurig an und sage: „Ich passe auf deinen Mops auf. Alles Gute, Ingolf.“
„Sag nicht Ingolf zu mir, du dreckige, Schwuchtel, du verfickte Sau hast mich gefickt“, schreit IngoLF, den ich einst als meinen Mitbewohner betituliert habe.
Ich wollte mit einem herablassenden Lacher reagieren, er bleibt mir aber im Halse stecken, und ich sehe dem Pissrest nach.
Einer der Polizisten sagt: „So sind sie immer, wenn sie a bgeführt werden. Machen Sie sich bitte keinen Kopf. Ich muss nur noch Ihre Daten aufnehmen, der Richtigkeit halber.“
„Wenn es sein muss“, sage ich und gebe dem Mann meine Daten, damit alles korrekt a bläuft. Ich komme mir vor wie bei einem Verhör auf den Blauen Seiten . Dann fällt die Wohnungstür zu. Der Vorraum ist wieder dunkel. Ich atme tief durch und habe mehrere Sekunden lang das Gefühl, nicht im Vorraum meiner Wohnung zu stehen, sondern auf einer einsamen schottischen Steilklippe. Die Brandung donnert, der salzige Wind verfängt sich in meinem Haar.
Erschrocken und zitternd blicken mir aus meinem Zimmer zwei Mopsis entgegen, die sich in einem Körbchen zusammengekuschelt haben. Ich betrete mein Zimmer. Schweiß strömt aus me inen Poren und mir wird kurz ganz übel.
Es war wie eine Szene kurz vor dem Ende eines jeden Spionagefilms, nachdem der russische Killer aufgetaucht war, sich dem sizilianischen Mafiaboss gesellt hatte und irgendeine dunkle Gestalt ein Feuer im Lagerhaus entfacht hatte, das ein paar alte Huren in der Nachbarschaft au fschreckte und letzten Endes zum Schreien animierte. Killer und Mafioso können entkommen. Die Eskapaden gehen dann so weit, dass irgendein junger College-Absolvent im dritten Semester mit leicht indischem Akzent durch einen guten Freund aus der Bibliothek einen Hinweis bekommt, wer der Mörder war. Der Freund aus der Bibliothek stirbt, der Mafioso und die dunkle geheimnisvolle Gestalt, die sich als die Ex-Frau des russischen Killers entpuppte und noch eine Rechnung mit ihrem Verflossenen offen hatte, verlieben sich ineinander; und am Ende können sie und er die Welt für ein paar Stunden in Sicherheit wiegen. Danach gehen sie in einem Londoner Club einen Gin Tonic auf Eis trinken, ehe sie zusperren.
Es ist 07:21 am Morgen. Auf meinem Konto befindet sich fast kein Geld mehr. Ich bin gestern Abend vergewaltigt worden, die Rache einer Vendettaverschwörung, weil ich unsanft den Ex des Vergewaltigers gevögelt hatte. Meine Perspektiven sind gleich null und nun hab ich das Futter von zwei Haustieren zu tragen, anstatt von nur einem Haustier. Mein Ex hasst mich, besser gesagt: Welcher Ex liebt mich? Und ich werde von Stunde zu Stunde älter. Eigentlich tut das die Welt auch und niemand regt sich auf. Jetzt werde ich verwirrt, ich spüre deutlich, wie sich meine Gehirnwindungen drehen und wenden. Hirnbrei. Alle scheiße. Ingolf, ein Mörder?
Dieses Gemisch aus Trauer und Zukunftsangst überkommt mich und es fällt mir dann immer schwerer, genau zu sagen, auf wen oder was ich angry sein sollte. Ich verirre mich in einem Lab yrinth der Zeiten. Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit lauern hinter jeder Mauer. Jedes Mal, wenn ich an meine Vergangenheit denke. Jedes Mal, wenn Bilder aus einer anderen Zeit auftauchen. Jedes Mal, wenn ich Tannennadeln rieche oder Fischstäbchen probiere. Ich bin wieder neun. Oder fünfzehn? Oder neunundneunzig? Und es geht nicht darum, welche Gefühle ich noch immer für einen Mann aufbringen kann, den ich gerade dabei bin zu vergessen. Es geht auch nicht um meine fehlende Begeisterung für Riverdance. Es ist die Nachübelkeit erregende Erkenntnis, dass ich auf dem falschen Planeten geboren worden war. Oder in der falschen Familie. Oder in der falschen Stadt. Oder im falschen Körper. Und
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