Kabeljau und Kaviar
Wärme zu verbreiten, lade ich Mabel Kelling
gleich mit ein.«
»Abigail, das kannst du doch nicht
machen!«
»Und warum nicht? Wenn du dich
unbedingt zum Märtyrer berufen fühlst, können wir es auch gründlich angehen.
Aber warum lassen wir nicht statt dessen unsere Nächstenliebe Sarah und Max
angedeihen? Ich glaube, ich habe Sarah seit der Beerdigung ihrer Mutter nicht
mehr gesehen. So ein stilles Kind, mit diesen unglaublich schönen
haselnußbraunen Augen, die einen so erstaunt ansehen, als frage sie sich, was
für ein merkwürdiges Wesen sie da wohl vor sich habe. Ich weiß noch genau, wie
ich damals gedacht habe, daß sie bestimmt mal eine richtige Schönheit wird.
Hatte ich recht, Max? Mabel streitet es zwar immer ab, aber wir wissen ja, was
wir von Mabel zu halten haben.«
»Ich bringe Sarah einfach mit, dann
können Sie sich selbst ein Urteil bilden. Aber jetzt muß ich mich auf den
Heimweg machen. Sarah macht sich bestimmt schon Sorgen, wo ich so lange bleibe.
Vielen Dank für die köstliche Bewirtung.«
»Wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet,
daß Sie an einem derart unfreundlichen Tag zu uns herausgefunden haben. Ich
hoffe, Sie kommen trotz des Schneetreibens heil nach Hause. Es sieht draußen
wirklich schlimm aus. Viele Grüße an Jem. Richten Sie ihm aus, daß Bill ihn
besuchen kommt, sobald er wieder fit genug ist zu fahren; und ich werde ihn
begleiten, damit Jem sich keine frommen Sprüche anhören muß.«
»Abby!«
»Jetzt stell dich nicht so an, Bill! Du
weißt haargenau, daß Jem sehr viel mehr damit geholfen ist, wenn du ihm eine
Flasche Honigwein und ein Glas Honig mitbringst, als wenn du dich tiefschürfend
nach dem Zustand seiner Seele erkundigst. Kommen Sie, Max. Wenn Sie wirklich
schon gehen müssen, bringe ich Sie noch zur Tür.«
»Das ist wirklich nicht nötig. Ich
finde mich allein zurecht. Bleiben Sie nur hier an Ihrem gemütlichen
Kaminfeuer. Ach ja, Bill, ich hätte da noch eine Frage, bevor ich gehe. Sie
haben eben Edward Ashbroom gar nicht erwähnt. Er sagte, er habe auch bei Ihnen
und Dork und den anderen gestanden.«
»Ed?« Billingsgate verschüttete Tee auf
seine Untertasse. »Nun ja, ich — ich glaube, er hat sich tatsächlich eine Weile
bei uns aufgehalten und mit uns geplaudert. Ja, natürlich. So ist es wohl
gewesen. Wenn er es sagt, wird es schon stimmen.«
Billingsgates Stimme wurde leiser und
verstummte schließlich. Automatisch griff er mit der Hand, die keine Tasse
hielt, nach dem Honigglas. Max beschloß, daß es Zeit war, sich zu
verabschieden, und ging.
Kapitel
22
A ls Max sich endlich mühsam bis Boston
durchgekämpft und seinen schneebedeckten Wagen auf seinem teuren Stellplatz im
Parkhaus in Sicherheit gebracht hatte, sehnte er sich nach seinem heimischen
Kaminfeuer. Dennoch beschloß er, daß es besser sei, seine Arbeit ganz zu Ende
zu bringen und sich dann erst die verdiente Ruhe zu gönnen. Quent Durward würde
bestimmt einmal mehr zutiefst gekränkt sein, wenn er herausfand, daß er als
einziger nicht von ihm aufgesucht worden war.
Außerdem wohnte Durward unmittelbar
hinter dem Krankenhaus, in einem der kostspieligen Apartments mit Blick auf den
Fluß. Das bedeutete einen zwar kurzen, doch recht kräftezehrenden Spaziergang,
bei dem ihm der Wind trotz Tante Emmas dickem Wollschal Unmengen von Schnee in
den Nacken peitschen würde. Max versuchte sich mit dem Gedanken an den Heimweg
aufzumuntern, der noch schlimmer sein würde, weil ihm der Schnee dabei direkt
ins Gesicht wehen würde. So stapfte er tapfer weiter.
Er hatte einmal einen Klienten in
dieser Gegend gehabt und fand daher Durwards Adresse ohne große Mühe. Durward
bewohnte zwar kein Penthouse-Apartment, aber eine schmucke Eckwohnung in einem
der oberen Stockwerke mit einer zweifellos überwältigenden Aussicht. Max fragte
sich, wer Durward wohl die Wohnung im authentischen E.-Phillips-Oppenheim-Stil
für den anspruchsvollen Junggesellen eingerichtet hatte. Es gab sogar einen
Hausdiener, der zwar nicht von den Philippinen stammte, jedoch orientalischer
Herkunft war und überglücklich schien, Jeremy Kellings Neffen melden zu dürfen.
Durward selbst schien ebenfalls
hocherfreut über den unerwarteten Gast. Er erschien nach kurzer Wartezeit, in
Seidenpyjamas, grünen Pantoffeln aus Saffianleder und einem Morgenmantel, der
offenbar passend zum Mobiliar ausgewählt worden war. Seiner Rolle entsprechend
hielt er ein langstieliges Cocktailglas in der
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