Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
Teil Südasiens vorübergehend vom World Wide Web abgeschnitten waren. Informationen der taiwanesischen Chunghwa Telecom zufolge standen achtundneunzig Prozent der Übertragungskapazitäten des Unternehmens nach Malaysia, Singapur, Thailand und Hongkong nicht zur Verfügung. Die großen Netzbetreiber schlugen sich um Möglichkeiten, ihren Traffic über die noch funktionierenden Kabel umzuleiten oder in die andere Richtung um die Welt zu schicken. Doch der Handel mit dem südkoreanischen Won wurde vorübergehend eingestellt, ein Internetanbieter in den USA registrierte einen deutlichen Rückgang bei Spam-Mails aus Asien, und ein Internetprovider in Hongkong entschuldigte sich – eine ganze Woche später – öffentlich für die Langsamkeit von YouTube. Bis wieder Normalität herrschte, vergingen zwei ganze Monate. Das Wort »Luzon« jagt Netzwerktechnikern heute noch Schauer über den Rücken.
Auf der logischen Ebene ist das Internet ein selbstheilendes System. Über die besten Routen verständigen sich die Router untereinander automatisch. Das funktioniert allerdings nur, wenn es Routen gibt, auf die sie sich einigen können. Auf der Ebene der physikalischen Kabel ist es zum Umleiten des Traffics notwendig, einen neuen physikalischen Pfad zu schaffen, indem man ein gelbes Patchkabel vom Käfig des einen Netzwerks zum Käfig des anderen zieht – zum Beispiel im Rechenzentrum von Equinix in Tokio, im Internetknoten in Palo Alto oder im »One Wilshire« in Los Angeles, denn all das sind wichtige Knotenpunkte, an denen die großen transpazifischen Netzwerke verbunden sind. Davon abgesehen stehen Netzbetreiber vor der schrecklich analogen Aufgabe, Kabel mit Stahlhaken vom Meeresboden heraufzuholen. Nach »Luzon« waren Schiffe von Tata fast drei Monate in dieser Meerenge unterwegs, um Kabel an die Oberfläche zu hieven, sie zu spleißen, wieder abzulassen und dann zur nächsten Schadstelle weiterzufahren. Als Tata ein neues Kabel in dieser Region plante – das erste seit dem Erdbeben –, überlegte Cooper sich die Route zweimal. »Wir wichen so weit nach Süden aus wie möglich. Das ist zwar nicht die optimale Route zwischen Singapur und Japan, aber wenn es ein Erdbeben an der gleichen Stelle gibt, dann sind wir davon nicht betroffen, und wenn es ein Erdbeben in der Nähe unseres Kabels gibt, dann bleiben die anderen Netzwerke wahrscheinlich intakt«, erklärte er mir, und setzte sich in seinem Stuhl in Singapur auf, dem gleichen, auf dem ich hier in New Jersey saß. »Man trifft taktische Entscheidungen.« Und dann betrachtet man das Ergebnis wiederum aus ökonomischer Sicht. Vietnam hat 80 Millionen Einwohner und ist schlecht angebunden. »Vielleicht hätte man dort Interesse an einem neuen Kabel?«, fragte sich Cooper. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es aussehen würde, wenn an einem weißen Sandstrand in Vietnam ein neues Kabel an Land gehievt wird. Es schien mir der dramatischste Moment beim Aufbau des Internets zu sein: das Anstöpseln eines ganzen Kontinents. Ich fragte Cooper, ob bei Tata in nächster Zeit die Anlandung eines Kabels anstand. Wenn er mir rechtzeitig Bescheid gebe und nichts dagegen habe, würde ich mir das gern ansehen.
»Zufällig haben wir demnächst eine Anlandung«, sagte die Stimme aus dem Bildschirm.
»Wo?!«, rief ich. Einen Augenblick später kamen mir Zweifel. Was, wenn sie am anderen Ende der Welt stattfand, etwa auf Guam (einem wichtigen Knotenpunkt von Seekabeln) oder in Vietnam? Oder in einem Staat wie Bahrain oder Somalia, wo man nicht gerade begeistert über einen Journalisten sein würde, der den Aufbau von Infrastruktur von entscheidender Bedeutung dokumentieren will? Vielleicht stellte ich mir das Ganze etwas zu einfach vor. Aber Cooper war ganz entspannt. »Es hängt vom Wetter ab«, sagte er. »Wir geben Ihnen Bescheid.«
* * *
In der Zwischenzeit machte ich mich auf ins Mekka der Unterseekabel. Entstanden die neuesten Verbindungen des Internets meist eher an den Rändern der Weltkarte, so drängten sich die alten an vertrauten Orten. Einem kam dabei die unangefochtene Spitzenposition zu: der kleinen Bucht Porthcurno in Cornwall an der Südwestspitze Englands, wenige Kilometer vor Land’s End. Im Lauf der gesamten, 150 Jahre währenden Geschichte der unterseeischen Kommunikationskabel war Porthcurno nicht nur ein wichtiger Landepunkt, sondern auch eine Ausbildungsstätte – das Oxford und Cambridge der Welt der Seekabel. Ein Blick auf die Karte erklärt warum. An
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