Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte (German Edition)
der Geographie hat sich nichts geändert. Land’s End ist nach wie vor der westlichste Punkt Englands; England ist nach wie vor ein Drehkreuz von globaler Bedeutung. Die meistgenutzte Interkontinentalroute der Welt verläuft TeleGeography zufolge zwischen New York und London – in erster Linie zwischen der Hudson Street Nr. 60 und dem Telehouse North. Und mehrere der wichtigsten physischen Pfade kommen unterwegs in Porthcurno vorbei.
In die Landestation eines Seekabels reinzukommen ist allerdings nicht so einfach wie ein Besuch in einem der großen städtischen Internetknoten. Orte wie die Docklands, Ashburn und so weiter verzeichnen einen kontinuierlichen Strom von Besuchern. Die Sicherheitsvorschriften sind streng, aber man hat das Gefühl, dass es sich dabei um allgemein zugängliche, nahezu öffentliche Gebäude handelt. Landestationen von Seekabeln dagegen liegen still im Verborgenen und empfangen nur selten Besucher. Schließlich fanden meine Bitten doch Gehör, und zwar bei Global Crossing, zum damaligen Zeitpunkt noch Betreiber des wichtigen Transatlantikkabels »Atlantic Crossing 1« – vielleicht freute man sich dort, dass sich mal jemand für etwas anderes interessierte als die spektakuläre Insolvenz des Unternehmens im Jahr 2002. Die Frau von der Presseabteilung bat mich lediglich, dem Sicherheitschef ein paar Fragen zu beantworten. Dieser werde dann seine Kontaktleute in der Verwaltung über meine Pläne unterrichten. Meine Pläne? Ach so. Nun ja: dem Internet einen Besuch abstatten.
Wenig später stieg ich im Londoner Bahnhof Paddington in einen Zug nach Penzance. Die eisernen Bögen der Bahnhofshalle waren der perfekte Ausgangspunkt für diese Reise, war der Bahnhof doch von einem der größten Ingenieure der viktorianischen Zeit entworfen worden, Isambard Kingdom Brunel, der auch die Route für die Eisenbahnstrecke nach Bristol und darüber hinaus festgelegt und den Bau der »Great Western Railway« geleitet hatte. Außerdem konstruierte Brunel die » SS Great Eastern«, das zum Zeitpunkt des Stapellaufs 1858 größte Dampfschiff der Welt, dessen Kohlebunker groß genug waren, dass es ohne Zwischenstopp nach Trincomalee auf Ceylon (dem heutigen Sri Lanka) und zurück fahren konnte – eine Strecke von 35 000 Kilometer. Simon Cooper und Isambard Brunel hätten sich sicher viel zu erzählen gehabt, zumal der berühmteste Einsatz der »Great Eastern« darin bestand, das erste transatlantische Telegraphenkabel zu verlegen, das trotz seiner Länge von 4300 Kilometern aufgerollt im Bauch des riesigen Schiffes problemlos Platz fand. Besonders gefallen hätten Cooper die anfänglichen Gebühren von zehn Dollar pro Wort, bei einem Minimum von zehn Wörtern. Rein äußerlich betrachtet war ich auf dem Weg nach Porthcurno. Aber in Wirklichkeit war ich natürlich einem viel größerem Thema auf der Spur: dem Triumph der Technik über den Raum. Und einen besseren Schutzpatron als Isambard Kingdom Brunel hätte ich mir dafür gar nicht aussuchen können.
Nach einigen Stunden kamen von den Gleisen aus die aufgewühlten Gewässer in Sicht, wo Ärmelkanal und Atlantik aufeinandertreffen. Allmählich gab sich Großbritannien als Insel zu erkennen. Mit jedem Kilometer war der Blick aus dem Fenster stärker vom Meer geprägt. Ich war auf dem Weg zum Ende des Landungsstegs, zu einer Landzunge namens »Penwith Peninsula« – die westliche Hälfte jener Kneifzange, die aussieht, als wollte sie nach in den Ärmelkanal einfahrenden Schiffen schnappen. Für meine amerikanischen Augen war es eine sehr urwüchsige Landschaft, geprägt von gedrungenen Bäumen, tief in die Felder eingeschnittenen Straßen und aus Stein gemauerten Bauernhöfen, die im Boden zu versinken schienen. Penzance war die Endstation. Die Strandkioske waren zu dieser Jahreszeit alle geschlossen, aber zahlreiche Spaziergänger bevölkerten die Strandpromenade entlang der ausladenden Bucht. Ich mietete mir am Bahnhof einen Wagen, und da ich an diesem Herbstnachmittag keine Termine vereinbart hatte, beschloss ich nicht lange nach einer Karte zu suchen, sondern einfach westwärts der Sonne entgegenzufahren und mich nach Porthcurno vorzutasten. Es dürfte ziemlich schwierig sein, dachte ich mir, sich hier zu verfransen. Es gab nur eine Richtung, in die ich fahren konnte. Schließlich war ich kurz vor Land’s End.
Porthcurno schmiegt sich in ein Tal und besteht aus ein paar Dutzend Häusern, aufgereiht an einem schmalen Sträßchen, das in einen
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