Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
geringer geworden.
Im Gesicht des Betriebschefs arbeitete es. Offensichtlich
wollte
er sich die Moralpredigt nicht ersparen. Aber er blieb stumm und warf Benjamin bloß einen Unheil verkündenden Blick zu.
Benjamin nickte Wilhelm, Georg und Philipp zu. Es hatte ihn große Überwindung gekostet, nicht zu Natascha in den Krankenwagen zu steigen. Aber im Moment konnte er nichts für sie tun. Hingegen war es ihm als Sicherheitschef möglich, Maßnahmen zu setzen und Entscheidungen zu treffen, die Leben retten konnten.
Oder Menschen töten
, dachte er.
„Wie sieht es aus?“, fragte Benjamin und ließ sich von Georg auf den neuesten Stand bringen.
„Wir sind mit unserem Latein am Ende“, fügte Wilhelm am Ende des Berichts hinzu. „Zumindest ich sehe derzeit keine Möglichkeit, die verbliebenen Kabinen zu bergen.“
Wie auf ein unhörbares Kommando wandten sich sämtliche Blicke Franz zu. Die Lippen des Betriebsleiters waren zwei weiße, blutleere Linien. Benjamin war sich nicht sicher, ob den anderen die winzigen Schweißperlen auf Franz’ Stirn auffielen.
„Die Seilbahntechniker sind verständigt und sollten in Kürze eintreffen“, sagte Franz mit emotionsloser Stimme. „Sobald wir Klarheit über den Zustand der Seilanlage haben, können wir die weiteren Schritte planen. Inzwischen habe ich Thomas und Maximilian, zwei unserer Mitarbeiter, angewiesen, die besetzte Kabine vom Boden aus zu überwachen. Sollte es Veränderungen geben, melden sie sich. Für fünfzehn Uhr wurde eine Pressekonferenz anberaumt. Ich schlage vor, dass wir eine kurze Pause einlegen und jeder Einzelne in sich geht und die verschiedenen Möglichkeiten und Szenarien überdenkt. Irgendwelche Einwände oder Fragen?“
„Gut“, sagte Franz, als keiner der Anwesenden das Wort ergriff, und erhob sich von seinem Stuhl. „Georg, bitte informier die Bürgermeisterin und die neu eingetroffenen Einsatzkräfte. Wir setzen die nächste Lagebesprechung auf vierzehn Uhr an. Ich ersuche um pünktliches Erscheinen.“
Schiregion Kitzbühel, Piste 34, nahe 3S-Bahn
Samstag, 6. Januar, 12:50 Uhr
„Hey, schau mal“, sagte Thomas und deutete in Richtung der Gondel, die als kaum sichtbarer, farbloser Fleck schräg über ihnen schwebte.
Maximilian hob den Feldstecher vor sein Gesicht und blickte konzentriert zu der Kabine empor. „Was soll sein?“, fragte er und legte die Stirn in Falten. „Ich sehe nichts.“
Ein länglicher Schemen blitzte auf und verschwand geräuschlos in der Tiefe.
„Was zum Teufel war das?“
„Keine Ahnung“, sagte Thomas. „Aber sieht aus, als wäre etwas aus der Gondel gefallen.“
Maximilian und Thomas warfen sich einen vielsagenden Blick zu.
„Meinst du, wir sollten die Zentrale anfunken?“, erkundigte sich Maximilian.
Thomas zögerte. „Und wenn nur jemand seine Schistöcke aus dem Fenster geworfen hat? Franz könnte etwas … gereizt reagieren, wenn wir ihn wegen einer Lappalie stören.“
„Dann schauen wir am besten nach, was es war.“
„Okay.“ Thomas nickte. Die beiden jungen Männer wechselten einen weiteren Blick.
„Für den Fall“, begann Thomas, „dass es sich um …“
„Nein“, unterbrach ihn Maximilian. „Daran will ich gar nicht denken.“
Seilbahn GmbH Kitzbühel, Büro des Betriebsleiters
Samstag, 6. Januar, 13:05 Uhr
Franz kauerte auf seinem Drehstuhl, die Beine zusammengepresst, den Kopf gesenkt und die Arme in einer hilflosen Geste um seinen Oberkörper geschlungen. Er zitterte wie Espenlaub.
Diesmal hatte er es übertrieben. Definitiv. Die Dosis war zu hoch gewesen. Er musste etwas unternehmen. Etwas essen. Mit bebenden Fingern kramte er in seiner Lade für Notfälle und zog eine Tüte mit schokolierten Nüssen und Rosinen hervor. Bedächtig kauend, aß er zwei Handvoll und verzehrte danach eine Banane und ein halb aufgegessenes Schinkenbrötchen von heute Morgen. Nach einigen Minuten ließ das Zittern nach, verschwand jedoch nicht vollständig. Franz erhob sich, marschierte mit steifen Schritten auf und ab und ließ die Arme kreisen. Dazu begann er leise Kinderlieder zu summen. Für einen Außenstehenden mochte das lächerlich wirken, aber es gab kaum etwas, das ihn mehr entspannte.
Unerfreuliche Erinnerungen drängten in seine Gedanken. Der letzte Schub war durch Stress ausgelöst worden. Stress in seiner damaligen Beziehung. Fünf ganze Tage hatte er sich krankmelden müssen. Dies war seine erste und bislang einzige Dienstunfähigkeit gewesen, seitdem er vor sechs
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