Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
an, als hätte sie Bernhard persönlich beleidigt. In solchen Momenten war das lodernde Feuer ihrer italienischen Abstammung nicht zu verkennen.
„Uns bleibt noch die Ermordete“, sagte sie, ohne auf seine vorherige Hypothese einzugehen. „Sie stammt ja aus München. Wir sollten mit ihren Eltern und Freunden sprechen.“
„Natürlich.“ Bernhard seufzte ergeben. „Aber zuerst gehen wir etwas essen.“
ZDF-Landesstudio Bayern, Unterföhring
Samstag, 6. Januar, 12:35 Uhr
„Frau Wertens, kommen Sie mal her.“ Die Stimme des Redaktionschefs war kühl und sachlich wie immer.
„Zwei Minuten? Ich würde gern den letzten Absatz …“
„Sofort.“
Scheißkerl
, dachte Stefanie Wertens und erhob sich.
„Wollen Sie einen Job?“
Stefanie blinzelte. „Wie? Ich verstehe nicht.“
„Seilbahnunglück in Tirol. Zwölf Personen sitzen in einer Gondel fest. Näheres ist noch nicht bekannt. Roman und Hannes sind an den Sturmschäden in Baden-Württemberg dran, Sabine fährt zu der Tornadoschneise in Augsburg, und Julia hat mit Michael die Massenkarambolage bei Rosenheim übernommen.“
So war das also. Sie wurde mal wieder als Notnagel eingesetzt, weil niemand sonst verfügbar war. Vermutlich handelte es sich bei diesem sogenannten Seilbahnunglück bloß um eine kurze Panne, die längst behoben war, wenn Stefanie eintraf.
„Sie können Ernst Holger mitnehmen, der ist in Bereitschaft. Sendewagen sieben steht in der Garage.“
Auch das noch! Ernst, das notgeile Schwein mit seinem Hang zu Fanatismus und Alkohol. Von allen Kameramännern der mit Abstand unausstehlichste Zeitgenosse. Stefanie biss die Zähne zusammen. Sie würde sich ihre Abscheu nicht anmerken lassen. Es gelang ihr sogar, ein schmales Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern.
„Geht klar. Wohin müssen wir?“
„Nun.“ Der Redaktionschef zögerte. Ungewöhnlich – und alarmierend. Stefanie verspürte einen scharfen Stich in der Magengegend.
Nein, das kann nicht sein, unmöglich!
„Das ist auch der Grund, weshalb ich möchte, dass Sie fahren. Betroffen ist die Dreiseilumlaufbahn in … na ja, Sie wissen schon.“
Stefanie wurde abwechselnd heiß und kalt.
Das meint er nicht ernst. Nicht dorthin …
„Ihre Connections könnten uns wirklich hilfreich sein“, ergänzte der Redaktionschef. Seine Stimme klang eindringlich, beschwörend. „Mit Ihrer Hilfe sind wir diesmal schneller als N24.“
„Ich weiß nicht, ob ich das …“
„Ja oder nein?“
Stefanie schluckte. Ob ihr Chef wusste, was er von ihr verlangte? Wohl kaum. Ein gutturales Lachen stieg ihre Kehle empor.
Nun denn
, dachte sie und wunderte sich über ihren eigenen Galgenhumor.
Auf in die Höhle des Löwen!
Schiregion Kitzbühel, 3S-Bahn, Kabine 14
Samstag, 6. Januar, 12:40 Uhr
Unter wildem Gejohle Samanthas wurden zwei Paar Schi neben die Bodenluke gestellt, um sie in die luftige Freiheit zu entlassen. Neben Doris hatte auch Martin einer Zweckentfremdung seiner Schiausrüstung zugestimmt.
Indessen war die geplante Vorgehensweise nicht unumstritten. „Wenn jemand unterhalb der Kabine steht, könnte er getötet werden“, gab Sonja zu bedenken.
„Genau“, bestätigte Emma. „Und ich kann mir kaum vorstellen, dass die Rettungskräfte die Bindungen untersuchen und unsere Nachrichten finden.“
„Die Wahrscheinlichkeit, dass jemanden die Bretter auf den Schädel knallen, geht gegen null“, meinte Matteo und warf seiner Frau einen gereizten Blick zu. „Wir haben keine vernünftige Alternative, uns bemerkbar zu machen. Ich darf dich an deine reizvollen Worte erinnern, wonach wir mit der Außenwelt Kontakt aufnehmen sollen, um
irgendwann mal
gerettet zu werden.“
„Was schreiben wir auf die Zettel?“, fragte Raphael. Disharmonie und insbesondere offene Feindseligkeit konnte er nicht ausstehen. Lautstark durchsuchte er seinen Rucksack nach Notizblock und Kugelschreiber und reichte beides an Doris weiter.
„Wie wäre es mit:
Zu Hilfe, rettet uns!
“, schlug Rüdiger vor.
Niemand lachte.
SeilbahnGmbH Kitzbühel, Besprechungsraum
Samstag, 6. Januar, 12:45 Uhr
„Erspar mir deine Moralpredigt.“
Benjamin sah Franz direkt in die Augen. Ohne zu blinzeln. Ohne eine Spur von Fügsamkeit. Vor wenigen Minuten hatte er die ohnmächtige Natascha in die Hände des Notarztes übergeben. Der Mediziner hatte sie umgehend in den Krankenwagen verfrachtet und war mit heulenden Sirenen im Schneegestöber verschwunden. Das Gefühl von Leere in Benjamins Brust war seitdem nicht
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