Kabine 14: Ein Kitzbühel-Thriller (German Edition)
„Wir wollen doch keinen schlechten Eindruck auf die Mädels machen.“
Krankenhaus Kufstein, Unfallchirurgie
Samstag, 6. Januar, 18:30 Uhr
„Nein“, wiederholte Benjamin und jetzt musste er grinsen. „Es ändert nichts an meinen Gefühlen für dich. Überhaupt nichts.“
„Aber ich bin ein Krüppel“, murmelte sie, und die Finger ihrer gesunden Hand krampften sich um die Bettdecke.
Benjamin löste ihre starren Glieder von dem Baumwollstoff und bettete ihre Hand in die seine. „Das ist nicht wahr“, behauptete er. „Zwei fehlende Zehen haben keine Auswirkungen darauf, dass du perfekt bist.“
„Perfekt …“
„Ja, perfekt. Für mich steht das außer Frage. Ich mag dich genau so, wie du bist. Ob du jetzt zwei Zehen weniger hast, ist mir egal. Ehrlich.“
Natascha schwieg einen Moment. „Weißt du“, sagte sie schließlich, und ihre Stimme war ein kaum hörbares Wispern. „Ich habe sogar geglaubt, dass sie mir das ganze Bein amputieren wollen.“
„Wieso?“
„Weil ich zwei Ärzte gehört habe, während ich im Halbschlaf gelegen bin. Aber ich denke, sie haben die Frau neben mir gemeint.“ Natascha blickte in Richtung der leise schnarchenden Dame. „Ich hoffe, sie kann damit leben. Ich könnte es nicht.“
Raphael drückte behutsam Nataschas nicht bandagierte Hand. Ihre Finger fühlten sich kühl an. Es war ein immenser Unterschied, ob man nur ein paar Zehen oder ein ganzes Bein verlor. Letzteres musste eine komplette Lebensumstellung bedeuten.
Natascha seufzte schwer. „Wie auch immer. Gehen werde ich schon irgendwie zusammenbringen, aber Schi fahren kann ich vergessen.“
„Ach komm, das stimmt doch nicht! Wenn selbst beinamputierte Menschen auf der Piste stehen können, schaffst du das längst. Sind ja auch nur die zwei kleinen Zehen.“
Natascha schloss für einen Atemzug die Augen. „Hast du das vorhin ernst gemeint?“
„Was denn?“
„Dass du mich liebst.“
„Absolut.“ Benjamin zögerte. „Ich kann verstehen, dass das etwas plötzlich für dich kommt, aber vielleicht …“
Sie erhob einen Finger und Benjamin verstummte. Ein zärtliches Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Erspar dir deine Ausflüchte. Ich liebe dich doch auch.“
„Oh.“ Benjamins Gesichtsausdruck war wohl nicht der klügste, denn Natascha lachte auf, hell und fröhlich. Nach wenigen Sekunden beruhigte sie sich wieder, seufzte erneut und drückte Benjamins Hand. „Bleibst du heute Nacht bei mir?“, flüsterte sie. „Ich muss noch einige Tage im Krankenhaus bleiben.“
„Ja, selbstverständlich. Wenn sie mich hinauswerfen wollen, behaupte ich einfach, wir sind verheiratet. Einverstanden?“
Nataschas Lächeln floss auf direktem Weg in sein Herz, entfachte eine Wärme und Zuversicht, die jede negative Empfindung im Keim erstickte.
„Ja“, entgegnete sie. „Nichts lieber als das.“
Kitzbühel, Hotel Resch
Samstag, 6. Januar, 18:40 Uhr
Schon beim Betreten der Anlage fielen ihr der Mann und die junge Frau am Empfang auf. Sie wirkten nicht wie spät angereiste Gäste. Dazu fehlte ihnen die Unbeschwertheit von Urlaubsreisenden. Vielmehr erweckten sie den professionellen Eindruck von Maklern oder Delegierten einer internationalen Firma. Intuitiv witterte Stefanie eine Story. Sie trat an die Stufen zum ersten Stock heran; doch anstand emporzusteigen, duckte sie sich hinter das Geländer und lauschte.
„Tut mir leid“, sagte die Rezeptionistin gerade. „Wir haben beide Namen nicht auf unserer Liste.“
„Dann können Sie uns vielleicht sagen, ob Donnerstagnachmittag ein Mann mit auffällig blauen Augen eingecheckt hat?“ Der Mann, der die Worte gesprochen hatte, war groß gewachsen und besaß dichte, weiße Haare. Stefanie schätzte sein Alter auf etwa fünfzig.
Die Rezeptionistin überlegte einen Moment. „Ich fürchte, da muss ich Sie enttäuschen. Kann mich an niemanden mit einer außergewöhnlichen Augenfarbe erinnern. Und ich hatte ab zehn Uhr Dienst.“
„Danke trotzdem“, sagte der Weißhaarige. „Entschuldigen Sie die Umstände.“
„Kein Problem. Einen schönen Abend noch.“
Das Pärchen wandte sich zum Gehen. Doch wirkten die beiden eher wie Kollegen als wie ein Liebespaar.
Verlass dich nicht darauf
, dachte Stefanie.
Bei manchen Verheirateten könnte man auch annehmen, sie kennen sich kaum
.
Kurz entschlossen erhob sie sich und vertrat den beiden den Weg. „Guten Abend, mein Name ist Stefanie Wensten“, sagte sie. „Ich arbeite für ZDF Bayern. Wie laufen die
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