Kälteeinbruch (German Edition)
wenn er da draußen eine Hütte hatte, ein Ferienhaus?»
«Eine Hütte? Ich habe das Grundbuch überprüft. Viggo Holms einziger Grundbesitz war das Einfamilienhaus in Nygårdshaugen.»
«Und wenn er die Hütte geerbt hat?»
«Was dann?»
«Mama hat vor ein paar Jahren eine Hütte auf Ullerøy von ihrer Großmutter geerbt, und na ja, bisher hat sie diesbezüglich noch nichts unternommen.»
«Ich komm jetzt nicht mehr mit», sagte Kval. «Was willst du denn damit sagen?»
Das Einzige, was passiert war, nachdem seine Mutter die Hütte geerbt hatte, war, dass sie den Schlüssel in Empfang genommen hatte. Heute, fünf Jahre später, war immer noch ihre tote Großmutter als Besitzerin eingetragen. Torp fügte hinzu, dies sei einzig und allein ihrer Faulheit zuzuschreiben. Seine Mutter habe sich bisher noch nicht dazu aufraffen können, es ändern zu lassen.
Am anderen Ende der Leitung wurde eine Tür zugeschlagen.
«Du bist gar nicht so dumm, Torp.» Kvals Stimme verriet, dass er sich in Bewegung gesetzt hatte. «Lass uns das sofort überprüfen. Ruf die Kommune Hvaler an. Mit etwas Glück sind die noch nicht ins Wochenende gegangen. Finde raus, ob irgendwas da draußen auf den Nachnamen Holm registriert ist. Ich setz mich jetzt ins Auto und komm noch mal rein.»
Kapitel 44
Die abgefahrenen Reifen des alten Hyundai fanden auf der vereisten Straße, die beim Eidet-Tunnel zum Schotterwerk führte, keinen Halt. Nach vier Anläufen hatten die Reifen den Boden unter sich glatt poliert. Bernandas gab auf. Er legte den ersten Gang ein, stellte den Motor ab und zog die Handbremse an. Stieg aus und hob Leonas vom Rücksitz, trug ihn über das glatte Eis. Darius konnte alleine gehen. Langsam stapften sie den sanften Hügel hinauf. Es war dunkel. Unter seinen Sohlen konnte Bernandas die tiefen, gefrorenen Spuren der wuchtigen Caterpillar-Maschinen spüren, die hier normalerweise entlangrumpelten. Vor ihm, hinter der Kuppe, waren zwei Lichtkegel zu erkennen. Das Rauschen der E 6 wurde zunehmend von einem laufenden Motor übertönt. Ein paar Meter vor der Kuppe blieb er stehen. Er drehte sich um und blickte Leonas und Darius an. Im Schein der grellen Scheinwerfer sah Bernandas zwei glänzende Streifen auf Darius’ Wangen. Er streckte den beiden die Arme entgegen und nahm sie an die Hand. Im selben Moment überkamen ihn heftige Gewissensbisse, weil er ihnen eine falsche Sicherheit vorgaukelte. In vier, fünf Metern wäre es zum Umkehren zu spät. Sie zitterten. Ob vor Kälte oder aus Angst, konnte er nicht sagen. Sein eigenes Zittern war nicht der Kälte geschuldet. Er wusste, was ihn erwartete. Was das Schicksal der Kinder betraf, war er sich nicht so sicher. Doch dass er heute sterben würde, davon war er überzeugt.
Sie erreichten ebenes Gelände. Arturas’ schwarzer Lexus stand vor einer senkrechten Felswand, die sich zehn Meter in die Höhe erhob. Sie machten sich auf den Weg über den Platz. Bernandas wurde von den Autoscheinwerfern geblendet. Er konnte hören, wie eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde. Mit der Hand schirmte er die Augen ab und versuchte auszumachen, wo sich die Tür befand, doch in dem grellen, weißen Licht konnte er unmöglich etwas erkennen. Er sah die Jungen wieder an. Beide blickten zu Boden. Er wollte etwas sagen, wusste aber nicht, was. Schloss seine Hände nur noch fester um ihre.
Der Fahrer stellte sich vor einen der Scheinwerfer. Bernandas blinzelte. Obwohl ihn nun nur noch ein Scheinwerfer blendete, konnte er kaum mehr als die Silhouette eines dünnen Mannes erkennen. Er wartete darauf, dass der Schatten etwas sagte. Ohne sein Zutun verfielen seine Füße plötzlich in ein langsameres Tempo. Als kämpfte sein Körper gegen seinen Willen an. Es klickte. Als würde an einem Gewehr der Hahn gespannt. Einen Augenblick später lag Darius’ Hand schwer in seiner, zugleich schoss ein Feuerstrahl aus dem Schatten, begleitet von einem gewaltigen Knall. Die Felswand hinter dem Auto warf ein donnerndes Echo zurück. Es war genau so, wie man es ihm erzählt hatte. Die Welt bewegte sich auf einmal langsamer. Jedenfalls fühlte es sich so an. Er sah zur Seite. Darius brach zusammen und zog Bernandas’ Hand mit nach unten. Bernandas blieb keine Zeit zum Nachdenken. Er blickte auf. Der Schattenarm bewegte sich. Vor Panik schreiend stürzte Bernandas vorwärts. Warf sich auf die Silhouette. Als er Arturas zu Boden riss, spürte er, wie dessen lange Haare ihm ins Gesicht schlugen. Er merkte,
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