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Kälteeinbruch (German Edition)

Kälteeinbruch (German Edition)

Titel: Kälteeinbruch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Erik Fjell
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nette alte Mann?
    Auch nachdem er seine Frage gestellt hatte, hielt er weiter Augenkontakt.
    «Was?», fragte Bernandas.
    Der Junge wiederholte die Frage.
    «Welcher nette alte Mann?»
    «Der uns hierhergeschickt hat.» Der Junge erhob sich vom Sofa. «Sollen wir hier wohnen?»
    Er wirkte enttäuscht.
    «Was macht ihr hier?», fragte Bernandas.
    Er wusste, weshalb junge Mädchen geschmuggelt wurden. Aber er konnte sich nicht vorstellen, dass Doskino Geschäfte mit Kindern trieb. Er hatte gehört, dass Eltern mitunter große Summen dafür bezahlten, dass ihre Kinder zu Verwandten in den Westen gebracht wurden, damit sie dort ein besseres Leben hatten. Aber hier draußen erinnerte nicht viel an den Westen. In seiner Heimat war er in Häuser eingebrochen, die im Vergleich zu diesem Schuppen die reinsten Schlösser waren.
    «Wir sollen zur Schule gehen und arbeiten», antwortete der Junge. «Und in einem großen Haus wohnen.»
    «Einem großen Haus?»
    Er nickte. «Der alte Mann hat mir ein Bild gezeigt.»
    «Ach so? Wie alt seid ihr?»
    «Ich bin zwölf», sagte der Ältere.
    «Acht», kam es von dem Jüngeren auf dem Sofa. «Ich heiße Leonas und soll meine Mama treffen. Wie heißt du?» Leonas sah Bernandas neugierig an.
    «Bernandas.»
    «Deine Mama ist längst tot!», rief der andere dazwischen, bevor er seinen Namen nannte: Darius.
    «Ist sie nicht», sagte Leonas leise. «Mein Papa ist tot. Meine Mama habe ich noch nie gesehen.»
    Großartig, dachte Bernandas. Er hatte den Chauffeur für eine Familienzusammenführung gespielt.
    Dreitausend Euro. Das musste ein Scherz sein.
    Er blieb sitzen, während Darius die Schubladen einer Kommode durchsuchte. Der Junge fand einen Block mit leeren Blättern und einen Kugelschreiber. Er setzte sich aufs Sofa und riss ein paar Bögen für Leonas ab, bevor er mit dem Zeichnen begann.
    «Und womit soll ich malen?», fragte Leonas.
    «Es gibt nur einen Kuli. Falt doch Papierflieger.»
    Leonas knuffte den Älteren am Oberarm. Zur Strafe rammte ihm Darius die Faust in den Bauch.
    Leonas fing an zu weinen. Bernandas fluchte. Forderte ihn auf, mit der Heulerei aufzuhören, aber es half nichts. Leonas rollte sich im hintersten Winkel des Sofas zusammen und wimmerte weiter.
    «Memme», sagte Darius. «Ich hab ja nicht mal richtig getroffen.»
    Bernandas sah auf die Uhr. Kurz vor halb zehn. Noch fast drei Stunden. Drei Stunden Rumgeheule. Und das war erst der Anfang, er wusste doch, wie Kinder waren. Das halt ich verdammt noch mal nicht aus, dachte er. Seit er zehn war, hatte er keine Kinder mehr gehütet. Er stand auf und ging in die Küche. Die Einkaufstüte auf dem Fußboden enthielt drei Päckchen Kaffee, eine Rolle Gaffer-Tape und eine Pappschachtel.
    Er nahm die Schachtel heraus, ein Paketkarton offenbar. Darauf stand ein Name, direkt darunter eine Adresse. Es war nicht dieselbe wie auf dem GPS . Hatte der Empfänger womöglich zwei Häuser? Dann sollte Darius bestimmt in dem anderen wohnen.
    Er holte sofort sein GPS . Gab die Adresse ein und feuerte die Pappschachtel auf die Küchenzeile. Das GPS berechnete exakt eine Stunde Fahrzeit. Bernandas lehnte sich an die Arbeitsplatte. Hörte, wie der Jüngere zunehmend lauter wimmerte. Darius hatte noch einmal zugeschlagen. Dieses Mal auf den Hinterkopf. Bernandas sah auf das GPS in seiner Hand. Eine Stunde. Wenn er den Jüngeren trug und sie sich beeilten, wären sie in maximal einer Viertelstunde am Wagen. Die Übergabe würde schnell gehen. Doskino hatte das Geld schon erhalten. Und Bernandas könnte bereits vor Mitternacht in Schweden sein.
    Er machte zwei große Schritte.

Kapitel 6
    Sein Blick schweifte über den weißen Garten. Die Stiefel bahnten sich ihren Weg durch den weichen Schnee. Hinter sich hörte er den Motor brummen, der im Leerlauf lief. Die Vorhänge vor den Kellerfenstern waren zugezogen und versperrten die Sicht. Vor der Tür blieb er stehen. Durch den Spalt zwischen den Vorhängen drang Licht.
    Der Mann war zu Hause.
    Er versuchte, die Tür zu öffnen. Verschlossen. Seine Finger packten das längliche Stück Stahl in seiner Tasche. Lautlos schob er die flache Spitze ins Schloss, bis er auf Widerstand stieß. Hielt die Hand ruhig. Blickte zum Himmel, der noch vor einer halben Stunde wolkenfrei und sternenklar gewesen war. Holte tief Luft und schloss die Augen.
    Dann schob er den Dietrich hinein. Die Stifte gaben sofort nach. Er gab etwas Druck auf den Dietrich und bewegte ihn so, dass sich das Lager um 180  Grad

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