Kälteeinbruch (German Edition)
vorsagen, um seinen Sinn zu begreifen. Ihr Blick forderte Anton auf, mit dem Gespräch zu beginnen.
Anton sah wieder aus dem Fenster und sagte: «Torp.»
Torp kramte seinen Notizblock aus der Tasche. Er hatte nicht damit gerechnet, dass er die Fragen stellen sollte. Die Situation war ungewohnt, aber doch gut für sein Selbstbewusstsein. Anton war offensichtlich nicht entgangen, dass er seine Sache bisher gut gemacht hatte.
Er zückte den Stift. Sah die Rektorin an und fragte: «War Viggo Holm ein enger Kollege?»
«Nein, nicht besonders. Nächsten Monat bin ich ein Jahr hier, ich habe zu vielen Kollegen also noch kein wirklich enges Verhältnis aufgebaut.»
«Das heißt, Sie kannten ihn im Grunde nicht gut?»
Unauffällig nahm Anton sein Handy hoch. Das Display zeigte nur die Uhrzeit an. Am liebsten würde er Elisabeth eine SMS schicken. Was er ihr schreiben sollte, wusste er nicht. Er wusste lediglich, dass er gern von ihr gehört hätte. Egal was. Mittlerweile wäre er für alles dankbar, sogar für eine Nachricht, in der sie ihn zum Teufel jagte.
Später vielleicht. Wenn er tief genug gesunken war.
«Überhaupt nicht, fürchte ich. Auf mich hat er wie jemand gewirkt, der gern für sich bleibt. Er hat sich sehr für den Unterricht und seine Schüler engagiert, aber besonders gesellig war er nicht. Auf der Arbeit jedenfalls nicht, und wenn ich die anderen Lehrer richtig verstehe, war er auch sonst nicht sehr kontaktfreudig.»
Wenn Anton seinen Sohn sprechen wollte, musste er jetzt entweder auf Elisabeths Handy oder auf der Festnetznummer des Investorenschweins anrufen. Letzteres war nicht besonders verlockend, Ersteres auch nicht mehr. Sie würde glauben, dass er Alex als Vorwand benutzte, um mit ihr zu sprechen. Und klar, er wollte mit ihr sprechen. Weil er gern wissen wollte, was das Versteckspiel sollte, das sie vor ein paar Wochen mit ihm gespielt hatte. Jetzt wusste er jedenfalls, was er Alex zu Weihnachten schenken würde: ein Handy. Dann bräuchte er nicht in der Weltgeschichte herumzutelefonieren, wenn er ihn erreichen wollte. Und als kleines Schmankerl obendrauf würde er vielleicht auch Elisabeth ein wenig damit ärgern.
«War Holm bei den Schülern beliebt?»
Die Rektorin wand sich etwas auf ihrem Stuhl und verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. «Na ja, manche Lehrer haben einfach alles drauf. Die Fähigkeit, ein freundschaftliches Verhältnis zu ihren Schülern aufzubauen und gleichzeitig ihre Aufmerksamkeit im Unterricht einzufangen. Viggo Holm … war eher ein spezieller Fall, bei ihm hieß es entweder, oder – manche Schüler waren von ihm absolut angetan, andere gar nicht. Dass seine Frau erkrankte, machte ihm sicherlich auch zu schaffen, und als sie starb … tja, da wurde er wohl noch verschlossener.» Sie beeilte sich hinzuzufügen: «Was ja völlig verständlich ist. In seiner Freizeit hat er oft diejenigen unterstützt, die mehr Aufmerksamkeit brauchten, als die Schule ihnen widmen konnte. Das habe ich erst heute von einem der Fachleiter erfahren, der schon viele Jahre an dieser Schule ist. Demnach soll er sein außerschulisches Engagement zurückgefahren haben, als sich der Gesundheitszustand seiner Frau verschlechtert hat, und als sie starb, hörte er ganz damit auf.»
Anton stutzte. Eine präzise Antwort auf Torps Frage war das nicht gerade. Er wandte seinen Blick vom Fenster ab und sah sie an. Sie bemerkte, dass sie Antons Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, und erwiderte seinen Blick. Lächelte wieder schief. Lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und legte die Hände in den Schoß.
«Da haben Sie aus einem einfachen Ja oder Nein aber eine ganze Menge gemacht», bemerkte Anton. Er wich ihrem Blick aus und schaute wieder aus dem Fenster. Eine Lehrerin überquerte den Schulhof, sie war auf dem Weg zur Fahnenstange. «Sie wollten wohl eher nicht so viel zu seiner Beliebtheit sagen.» Er sah auf sein Handy, das er sich zwischen die Schenkel geklemmt hatte. Das Display war immer noch leer. «Trotzdem haben Sie uns das Wichtigste gesagt.» Er sah sie an. «Viggo Holm war nämlich nicht besonders beliebt, richtig?»
Das war geraten, aber sie hatte ihn auch nicht in den höchsten Tönen gelobt, wie es die meisten Menschen tun, wenn sie über einen erst kürzlich Verstorbenen sprechen. Man ist nie so beliebt wie in der Zeit unmittelbar nach dem eigenen Tod.
Ihre Schultern senkten sich. Sie seufzte leise. «Lassen Sie mich nur eines sagen, er war gewiss – und ich sage
gewiss
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