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Kälteeinbruch (German Edition)

Kälteeinbruch (German Edition)

Titel: Kälteeinbruch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Erik Fjell
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Bürschchen. Ein erbärmliches Bübchen. Sein Verhalten beweist, dass die beiden Frauen, die ihn der Vergewaltigung bezichtigt haben, nicht gelogen haben.»
    Torps Braue senkte sich. «Das kannst du doch allein auf der Grundlage dessen, was da oben passiert ist, nicht behaupten.»
    «Zweimal, Torp.» Er hob zwei Finger hoch und wedelte mit ihnen hin und her. «Wie oft kann man das Pech haben, dass einem etwas vorgeworfen wird, was nicht stimmt? Wach auf. Der Kerl ist richtig abgebrüht. Ohne mit der Wimper zu zucken, hat er uns ins Gesicht gelogen. Der war eiskalt. Berechnend und manipulierend. Ich
hätte
damit warten können, dich das Pulver entsorgen zu lassen, und im Nachhinein sehe ich auch ein, dass ich das hätte tun sollen. Ich wollte aber, dass du es wegkippst, bevor wir uns ernsthaft unterhalten haben, weil ich beweisen wollte, dass er sich auf mich verlassen kann. Dass ich es wirklich ernst meine. Ich war mir sicher, dass ich ihn in der Hand hatte, aber ich habe mich geirrt.»
    Torp warf ihm ein aufmunterndes Lächeln zu. «Tja. Das kann dem Besten passieren.»
    «Eben. Jetzt muss ich wohl das
big book of dirty tricks
auspacken.» Anton zückte sein Handy und drückte ein paar Tasten. «Den werde ich zerquetschen wie eine Laus.»

Kapitel 28 Vilnius, Litauen
    Er war in Moskau zur Welt gekommen, dennoch war das hier seine Stadt. Hier war er vor fünf Jahren Doskino begegnet. Und hier hatte er zum ersten Mal eine Frau geliebt, in genau dem Bordell, das er jetzt gerade so finster anstarrte. Dass er sie geliebt hatte, war vielleicht übertrieben. Er war dreiundzwanzig Jahre und vier Stunden alt gewesen, und das Ganze war vorbeigewesen, bevor es begonnen hatte. Sie konnte sich gerade noch ihrer Kleider entledigen, da verlor Ivan bereits die Kontrolle über seine Lust. Das gleichaltrige Mädchen begann zu grinsen, woraufhin Ivan noch mehr die Kontrolle verlor. Sie lag auf dem Boden, und er trat auf sie ein, bis sie starb.
    Auf halber Höhe der Gaono gatvė setzte Ivan sich auf einen schmiedeeisernen Hocker. Schlug die Beine übereinander. Zog den Mantel darüber und faltete die behandschuhten Hände. Ein paar Meter weiter saß ein als Weihnachtsmann verkleideter Straßenmusikant und spielte
Stille Nacht
auf der Trompete. Entweder war es zu kalt für den Mann oder für die Trompete: Es klang fürchterlich. Drei Männer standen auf wackligen Beinen vor einem Hotel. Das können nur Skandinavier sein, dachte er. Kein anderer war so früh am Tag schon stockbesoffen – und im T-Shirt vor der Tür. Er blickte wieder in die andere Richtung. Zu dem Bordell, das es immer noch gab und das immer noch von demselben Mann betrieben wurde. Ivan erinnerte sich noch genau an das klirrende Geräusch der Zähne in ihrem Mund. Den flehenden Blick. Wie sie immer wieder «mi dispiace»,
es tut mir leid
, wiederholt hatte, bis sie nicht mehr sprechen konnte. An den Tod in den Augen des Mannes, der in den Raum gestürmt war, nachdem er die Schreie gehört hatte. Ivan war überzeugt davon gewesen, dass er mit dem Mädchen auf dem Boden sterben müsste. Der blankpolierte Revolver, den ihm der grauhaarige Mann in den Rachen geschoben hatte. Das Geräusch, als der Mann den Hahn spannte und sich vor ihm die Revolvertrommel drehte. Natürlich hatte er Angst gehabt, aber zugleich hätte er es okay gefunden, wenn er die Welt da und dort hätte verlassen müssen. Sein größter Wunsch war soeben in Erfüllung gegangen: leibhaftig eine nackte Frau zu sehen. Ivan hatte ihn nie danach gefragt, ging aber davon aus, dass sein gleichgültiges Gebaren Doskino dazu bewegt hatte, die Waffe wieder zurückzuziehen. Sie hatten sie sofort in eine Decke gewickelt. Waren eine Stunde lang gefahren, raus aus der Stadt, und hatten sie auf einem Acker begraben. Heute wäre Ivan nicht mehr in der Lage, die Stelle wiederzufinden. Etliche andere Gräber würde er wiederfinden, nicht jedoch dieses erste.
    Das skandinavische Trio ging an ihm vorbei. Einer von ihnen blieb vor Ivan stehen. Streckte zwei bleiche Schwabbelarme in die Luft. Auf den rechten Oberarm hatte er sich einen Wikinger tätowieren lassen. Er grölte. Kein Wort, das man verstehen konnte. Jedenfalls kein englisches. Eher so eine Art Siegesruf. Der Mann mit den schlaffen Oberarmen ging weiter. Ivan sah auf die Uhr und stand auf. Ging die Straße hinunter Richtung Altstadt. Spazierte gemächlich durch die engen, verwinkelten Gassen und genoss die kalte Luft. Zwei Mädchen kamen ihm schwatzend entgegen.

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