Käpt'n Ebbs Seebär und Salonlöwe
angekommen, machte er halt.
«Guten Abend», sagte er.
Er warf einen schnellen Blick in die Runde. Zu seiner Linken saß eine Frau mit honigfarbenem Haar und nackten Schultern; zu seiner Rechten ein Mann mit dicker Brille und lose gebundener Halsschleife, sichtlich betrunken; dazwischen erstreckte sich ein beängstigender Kreis unbekannter Gesichter. Die anderen hingegen erblickten einen großen, verlegenen, freundlichen Mann mit zerrauftem Haar, einem krachneuen Messerock, einer schiefsitzenden Krawatte und Hosen, die so aussahen, als wären sie hastig der Putzanstalt entrissen worden, bevor sie noch gebügelt werden konnten.
«Guten Abend, Kapitän», erklang es durcheinander.
Ebbs setzte sich. Langsam griff er nach der vor ihm stehenden, zu einem steifen Kegel geformten Serviette, während ihm die Gäste dabei zusahen, als ginge er daran, ein paar lebende Karnickel aus ihr hervorzuzaubern.
«Haben Sie vielleicht schon die komische Geschichte gehört...» begann er. Doch in diesem Augenblick legte jeder der Anwesenden los:
«Ist es nicht herrlich, wie ruhig das Meer...? »
«Glauben Sie nicht, daß das Menü...? »
«War der Sonnenuntergang nicht...? »
«Wie weit sind wir eigentlich am...? »
«Darf ich das weiterreichen...? »
«Ist das nicht eine richtige Kuh von...? »
Alle hielten inne und blickten einander an. Und abermals herrschte Schweigen.
«Suppe, Sir?» fragte Burtweed schnell.
«Danke ja, Burtweed, Suppe.» Ebbs schüttelte das Taschentuch aus seinem Ärmel und wischte sich die Stirn. Der erste Gang wurde wie ein Leichenschmaus serviert und verzehrt.
«Vielleicht haben Sie schon die komische Geschichte gehört...» begann Ebbs von neuem mit der eisernen Entschlossenheit jemandes, der sein Leben lang auf dem Ozean verbracht hat.
«Nein, erzählen Sie doch!» rief die Tafelrunde. Sie hefteten die Augen auf ihn, als wären sie Schulkinder, die sich einem neuen Lehrer gegenübersehen.
«Also, es - es ist keine richtige komische Geschichte zum Totlachen», stotterte Ebbs, den der Mut zu verlassen drohte.
«Bitte! Bitte, erzählen Sie doch, Kapitän!»
«Also, sehen Sie», schluckte Ebbs, «da kannte ich mal einen alten Kapitän, der noch in den Zeiten der Segelschiffahrt aufgewachsen war... so einen richtigen alten Seebären, mit einem Wort.»
Mrs. Porteous zu seiner Linken brach in ein tobendes Kichern aus.
«Einen richtigen alten Seebären», wiederholte Ebbs vorsichtig, sie im Auge behaltend. «War noch in den Zeiten der Segelschiffahrt aufgewachsen. In den Zeiten, wo die Schiffe - äh, durch Segel fortbewegt wurden.»
Als Mrs. Porteous erkannte, daß die komische Pointe noch nicht in Sicht war, beruhigte sie sich sofort und folgte seinen Worten mit übertriebener Aufmerksamkeit.
«Und sooft dieser Kapitän mit seinem Schiff einen Hafen anlief, gab er seinem Quartermeister den Befehl, das Lot auszuwerfen. In der altmodischen Art und Weise, müssen Sie wissen. Sehen Sie, er war ein altmodischer Kapitän.»
«Für wen ist dieser Steinbutt?» fragte Burtweed.
Als der zweite Gang aufgetragen wurde, klirrten Ebbs die Bestecke wie die Instrumente eines Zahnarztes ins Ohr. Er flehte zu Gott, das Essen möchte die Passagiere von der Unterhaltung ablenken; doch sie wandten sich ihm mit fürchterlicher Höflichkeit neuerdings zu.
«Erzählen Sie doch weiter, Kapitän! Ja, bitte, erzählen Sie doch!» drangen sie in ihn. «Wir sterben vor Neugier! Bitte, Kapitän! Wir hören Ihnen alle zu!»
«Also», fuhr Ebbs, sich ein wenig erwärmend, fort. «Er gab dem Quartermeister den Befehl, das Lot auszuwerfen, um zu sehen, wieviel Wasser unter dem Schiff war...»
«Wie?» fragte Bill Coke.
«Was sagten Sie bitte?»
«Wie sah er das, wieviel Wasser unter dem Schiff war?»
«Schscht, Billy!» rief seine Gattin über den Tisch. «Versau doch dem Kapitän nicht seine Geschichte!»
«Laß doch, mich interessiert das, Schatz», sagte er ungeduldig. «Klären Sie mich bitte auf, Kapitän! Wie zeigte dieses Lot, was da an Wasser unterm Schiff war? »
«Ja also, sehen Sie...»
«Sie nehmen mir meine Fragerei doch nicht übel, was, Kapitän?»
«Nein, nein, durchaus nicht», versicherte ihm Ebbs. «Es handelt sich da um ein sehr einfaches Prinzip. Das Lot trifft auf den Grund auf und... und zeigt, wie tief es ist. »
«Ja, aber wie kriegt man's wieder herauf?»
«Es befindet sich an einer Leine.»
«An einer Leine! Jetzt hab ich's kapiert! »
«Du bist blöd wie ein Schaf, Bill», sagte seine
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