Käpt'n Ebbs Seebär und Salonlöwe
aufgeschlagenen Hauptbüchern. «Wie Sie sehen, sind diese Zahlen hier nach dem Vorschußsystem nur im Gewinn- und Verlustkonto berichtigt, aber die Posten oberhalb der Linie werden in den Eintragungen bei der nächsten Verrechnung nach unten gesetzt, da wir nur eine mittlere Bilanz ziehen können und -»
«Das sieht ja recht kompliziert aus», meinte Ebbs verdrossen. «Auf der Luther trugen wir alles in ein Aufgabenheft ein, und ich verwahrte es in meiner Schublade.»
«Hier ist das wohl ein etwas umfangreicheres Problem, Sir», sagte Prittlewell und polierte sein Monokel.
«Na, ich muß Ihnen gestehen, daß mir diese Zahlen nicht sehr viel sagen», gab Ebbs zu. Stets fühlte er sich in Anwesenheit des Zahlmeisters unbehaglich, denn dieser begann ihn an seine Schwester zu erinnern. «Ich verlasse mich wohl besser auf Ihr Wort, daß alles stimmt.»
Prittlewell lächelte. «Ich versichere Ihnen, Sir, ich habe schon seit Jahren keine Kasse ausgeraubt -»
«Ich hatte gewiß nicht im Sinn, Ihre Ehrlichkeit in Frage zu stellen, Zahlmeister! »
«Ich weiß, daß Sie das nicht meinten, Sir. Vielleicht sind Sie so freundlich, diese Seite vorschriftsgemäß zu unterzeichnen...»
Ebbs zog seine Feder aus der Tasche.
«Und wenn Sie so liebenswürdig wären, auch die folgenden Seiten blanko zu unterschreiben, Sir, dann brauche ich Sie bis zum Ende der Fahrt nicht mehr damit zu belästigen. Danke bestens, Sir», sagte er, als Ebbs die letzte Unterschrift ablöschte. «Überaus zuvorkommend von Ihnen. Wir sehen uns heute abend wieder, Sir? Ich bin sicher, daß Ihre Cocktail-Party ein großer Erfolg sein wird.»
«Hoffentlich wird sie besser ausfallen als das gestrige Dinner», sagte Ebbs. «Ich will mein Bestes tun, allen Leuten entgegenzukommen.»
«Dessen bin ich sicher, Sir. Sie sind der entgegenkommendste Kapitän, mit dem ich seit langer Zeit gesegelt bin. Guten Morgen, Sir.»
Den Großteil des Tages verbrachte Ebbs in seiner Kabine. Er hatte beschlossen, nicht zurückzutreten, ehe er mit den Passagieren bei der Cocktail-Party ein Gegenspiel ausgetragen hatte, doch schämte er sich noch immer zu sehr, um irgend jemand von ihnen allein vor Augen zu treten. Inzwischen hatten diese die an Bord eines Schiffes üblichen Gesellschaftskränzchen gebildet. Man schmiedete die traditionellen Freundschaften aller Temperaturgrade, von der Weißglut der Leidenschaft angefangen bis zum lauwarmen Zusammenschluß, der sich daraus ergab, daß man von den entgegengesetzten Enden derselben englischen Grafschaft stammte. Schnell schmolzen Gleichgesinnte zu Cliquen zusammen: die Klatschbasen ließen sich in ihren Decksesseln nieder und begannen ihre täglichen Spekulationen auf der regen Börse des Schiffsskandals vorzunehmen, die Leichtathleten schlenderten ihre festgesetzte Meilenzahl ab, und die Bridgespieler errichteten ihre unumschränkte Herrschaft in einer Ecke des Sitzraums und spielten einander beharrlich auf den Nerven herum.
Es gereichte der Charlemagne zur Ehre, daß ihre seriöseste Clique die Trinkergemeinde war - sie bestand aus fünf bis sechs gut ausgereiften Männern, die zahlreiche Reisen hinter sich gebracht hatten und Schiffe in erster Linie als reichlich ausgestattete Verteilungsstellen von zollfreiem Alkohol betrachteten. Mr. Willy Boast, ein geselliger Bursche, den lange Cricket-Sommer in einen Dauerzustand von Ausgedörrtheit versetzt hatten, hatte sie aus ihren einsamen Winkeln
im Rauchsalon hervorgeholt und sich zum Anführer ihres Fähnleins gemacht. Um zehn Uhr vormittags ließen sie sich in ihrem Nest lederner Klubfauteuils neben der Bar des Rauchsalons nieder und warteten darauf, daß das Geklapper von Scotties Rolladen die Morgendämmerung ihres Tages einleite. Anfangs tauschten sie noch ein I paar gelinde spaßhafte Worte über den Zustand ihrer Gesundheit und ihrer Leber miteinander aus, doch diese waren nur leere Formeln der Tradition, nicht anders als die Gebete im Unterhaus. Kurz darauf erschienen Mutt und Jeff unaufgefordert mit den üblichen Runden «Augenöffner», denen eine Reihe von Drinks mit den Bezeichnungen «Sonnenaufgang», «Zusammenreißer», «Steifer» und «Schnaufer» folgte, bis die Trinker sich schwankend in ihre Kabinen zerstreuten, wenn die Bar gemäß der Schiffsordnung um drei Uhr schloß. Mr. Boast schlang sodann ein nasses Handtuch um seine Schläfen und versetzte seine Nachbarn in Raserei, indem er einige Seiten seines neuen Buches «Herren und Gebieter» auf seiner
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