Käpt'n Ebbs Seebär und Salonlöwe
wohl, Sir.»
Als Brickwood sich umwandte, ertönten die ersten Worte des Schlagers «Ich kann dir nichts als Liebe geben» aus dem Schallrohr. Ebbs drückte den Ellbogen darauf.
«Verzeihung, Sir?» Brickwoods Augenbrauen waren bis zum Mützenrand emporgezogen.
«Nichts, Mr. Brickwood. Hab nur vor mich hingesungen.»
«Sehr wohl, Sir.»
Brickwood schritt auf das Brückennock hinaus und lehnte sich nachdenklich über die Steuerbordlampe. Er fragte sich, ob er nicht gleich jetzt den Doktor herbeirufen und Ebbs durch die Quartermeister bändigen lassen sollte, bevor dieser ernstlichen Schaden anrichtete, oder ob er bis Tagesanbruch zuwarten sollte, wo Ebbs geringere Chancen hätte, auszubrechen und das Schiff in Panik zu versetzen. Er schob sich in die Nähe eines Marlspiekers an der Reling und ließ ihn bedachtsam in seinen Ärmel gleiten. Ebbs stand mit einer Miene tiefsten Elends im Kartenhaus und starrte auf die Öffnung des Schallrohrs, als erwartete er, daß eine gefährliche Schlange daraus hervorkröche. Um vier Uhr, bei der Wachablösung, stand er noch immer dort. Um sechs Uhr machte er sich nervös auf den Weg zu seiner Kabine und entdeckte zu seiner Erleichterung, daß Mrs. Porteous nicht mehr dort war.
11
Shawe-Wilson kam am nächsten Morgen in Ebbs' Kabine, bereit, wie ein Löwe um seinen Posten zu kämpfen. Bei Tageslicht besehen, wurde ihm die schmerzliche Erkenntnis, daß Ebbs recht hatte. Wenn Kapitän Buckle auch über diskrete Seitensprünge seiner Offiziere zu lächeln pflegte, so würde doch ein Bericht des Inhalts , daß der Erste dabei ertappt worden war, wie er auf dem Bootsdeck mit weiblichen Passagieren der Pole Star Line der Liebe huldigte, inmitten des Papierwusts auf McWhirreys Schreibtisch eine geradezu verheerende Bedeutung gewinnen. Sorgfältig hatte er während des Rasierens seine Entschuldigungsmomente zusammengestellt: erstens war er der Meinung gewesen, es sei erlaubt; zweitens kam er nur seinen Pflichten nach, wenn er zum gesellschaftlichen Treiben an Bord beitrug; drittens hatte sich das arme Mädel so einsam gefühlt; viertens liebte er sie; fünftens würde der Lapsus nie wieder passieren, wenn ihm weiterhin die Ehre zuteil würde, unter Ebbs' Kommando zu dienen; sechstens und überhaupt: nicht er war's gewesen, sondern der Zweite Ingenieur.
Er klopfte an Ebbs' Tür, salutierte, ließ seine Mütze elegant unter den Arm gleiten und trat ein.
Ebbs blickte auf. Mit rotumrandeten Augen und bleichem Angesicht brütete er über den ungewohnten Resten seines Frühstücks.
«Sie haben mich herbeordert, Sir?»
«So?»
«Ja, Sir.» Shawe-Wilson blickte überrascht drein. «Gestern nacht, Sir. Auf der Brücke.»
Kummervoll starrte Ebbs auf den Toasthalter. «Ich hätte mir von Ihnen, Mr. Shawe-Wilson», sagte er mit mehr Bewunderung als Tadel, «etwas mehr Diskretion erwartet. Guten Tag.»
Shawe-Wilson sah ihn perplex an.
«Das wäre alles», sagte Ebbs, ihn mit einem Wink entlassend.
«Ja, Sir. Danke, Sir. Guten Tag, Sir.» Er setzte die Mütze wieder auf, salutierte geistesabwesend und stolperte aus der Kabine.
Draußen zündete er sich eine Zigarette an. Als er an die Tür klopfte, hatte er sich auf jegliche Art von Bestrafung bis zum Ausmaß sofortiger Entlassung gefaßt gemacht, und nun hatte Ebbs ihn milder behandelt, als wenn er den Radiergummi des Navigationsraums verloren oder das Logbuch bekleckst hätte. Da er fühlte, daß dies bestimmt nicht aus Nächstenliebe geschehen war, fragte er sich, was wohl den Kapitän zu diesem Sinneswechsel veranlaßt hatte.
Brickwoods Kopf tauchte im Spalt seiner Kabinentür auf.
«Erster!» zischte er. «Hast du den Alten schon gesehn?»
«War grad' bei ihm drinnen. Warum?»
«Hat er nicht Schaum vorm Mund?» Brickwood klopfte sich an die Stirn. «Er ist übergeschnappt.»
«Oh, das weiß ich schon lang», sagte Shawe-Wilson zerstreut. Nachdenklich schritt er in seiner Kabine auf und ab, während sich seine Gedankengänge wieder auf vertrauten Geleisen zu bewegen begannen. Doch zuerst mußte er seine Selbstachtung wiederherstellen, und daher befahl er den Quartermeistern, die Rettungsboote zu reinigen.
Ebbs saß noch immer bewegungslos über seinem kalten Frühstück und fragte sich, wie es wohl nunmehr um seinen Ruf auf dem Schiff bestellt sei. Er hoffte inbrünstig, daß die Morgenröte auch genügend Schamröte mit sich geführt habe, um Mrs. Porteous zum Schweigen zu veranlassen; vielleicht gelang es ihm, Brickwood zu
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